Im Gegensatz zu anderen gerichtlichen Fragestellungen bezieht sich die familienrechtspsychologische Begutachtung auf ein immens weites Feld. Dieses beinhaltet neben Fragen zu Sorgerechts- und Betreuungsregelungen auch Fragen zu Kindeswohlgefährdungen, die sowohl Herausnahmen des Kindes aus der Familie, als auch Rückführungen betreffen. Der familienrechtspsychologische Sachverständige hat zudem – anders als bei anderen forensischen Fragen – immer ein System zu beurteilen und viele Variablen auf ihre Relevanz hin abzuwägen. Fast jeder Aspekt des täglichen Lebens kann kindeswohlrelevant sein und oftmals können – wie so oft in der Psychologie – nicht alle möglichen einflussnehmenden Variablen erhoben und bezüglich ihrer Bedeutung für die betroffene Familie vollständig überprüft werden.
So sind neben Persönlichkeitseigenschaften der Erwachsenen, des Kindes und anderer Bezugspersonen weitere Kriterien wie u.a. der Wille des Kindes, Erziehungskompetenzen, Kontinuität, sowie kulturelle Aspekte mit handlungsleitend. Deren Bestimmung und Gewichtung vor dem Hintergrund auch unzureichender fachwissenschaftlicher Erkenntnisse können dazu führen, dass der Sachverständige die gerichtliche Fragestellung häufig nicht konkret beantworten kann. Vielmehr muss er oftmals verschiedene Alternativen diskutieren und bewerten. Eine eindeutige und konkrete Beantwortung wird aber meist vom Gericht, den Eltern, Anwälten und anderen Verfahrensbeteiligten erwartet.
Diese Komplexität erhöht sich, wenn besondere Konfliktlagen, wie Verdacht eines sexuellen Missbrauchs, neue Familienformen (z.B. Insemination, Patchworkfamilien), hochkonflikthafte Elternbeziehungen, bis hin zur familiären Gewalt oder Familien mit interkulturellem Hintergrund die Fragestellung an den Sachverständigen mitbestimmen. Nicht zuletzt kann der Sachverständige gemäß § 163 Abs. 2 FamFG beauftragt werden, auf Einvernehmen hinzuwirken, obwohl schon viele Interventionen zuvor in der Familie gescheitert sind.
Fast jeder am Familiengericht ausgetragene Konflikt ist emotional besetzt. Dies bedingen der Trennungsprozess der Eltern oder die Trennung des Kindes von den Eltern, die daraus resultierende Neuorganisation des Familienlebens und der sich dann ergebenden veränderten Beziehungen zum Kind und/oder finanziellen Folgen. Der Sachverständige wird vom Familienrichter meist erst dann eingeschaltet, wenn viele vorherige Interventionen oder Lösungsansätze zu keiner Beruhigung der familiären Situation geführt haben. Somit sollen höchst emotional besetzte Konflikte und Beziehungsprobleme in einem rechtlichen Rahmen geregelt werden. Das Familiengericht ist eine rechtliche und keine therapeutische Institution, mit bestimmten verfahrensrechtlichen Regeln und gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Konfliktregelung. Viele Konflikte und die damit verbundenen Emotionen können durch juristische Regelungen nicht gelöst oder entschärft werden, z.B. können eskalierende Elternkonflikte, welche erhebliche Belastungen für die betroffenen Kinder bedingen, hierdurch meist nicht vermindert werden. Die betroffenen Eltern sind oftmals nicht mehr in der Lage, zusammen die Verantwortung für ihre familiäre Situation selbst zu übernehmen und entsprechende Entscheidungen zu treffen, weswegen sie den rechtlichen Weg wählen. Kommt es dann zu einer auf einem Gutachten mitberuhenden gerichtlichen Entscheidung, so sind Verletzungen, Enttäuschungen, Verlustängste, auch bereits im Verlauf der Gutachtenerstattung, die Regel. Nicht zuletzt kann es zu unerwünschten Veränderungen der Lebenssituation bei den Betroffenen kommen. Dies führt nicht selten zu Reaktionen, die in Aggressionen umschlagen (z.B. da einem der Betroffenen das Ergebnis des Gutachtens nicht gefällt, erhebliche Kränkungen durch die dortigen Ausführungen entstehen, Persönlichkeitsakzentuierungen/-störungen vorliegen), welche sich in der Folge auch gegen den familienrechtspsychologischen Sachverständigen wenden.