1. Die Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten. Ob die Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab.

2. Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht oder nicht mehr für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG grundsätzlich nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt. An einer nachvollziehbaren Begründung fehlt es, wenn die angegriffene Entscheidung nicht hinreichend darlegt, sich eine ausreichend zuverlässige Grundlage für die Prognose über die dem Kind drohenden Beeinträchtigungen verschafft zu haben, dabei von den Empfehlungen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin sowie des Ergänzungspflegers abweicht und bei der Abwägung erhebliche Umstände übergeht, die für eine Gefährdung des Kindeswohls bei der Betreuung durch den mit der psychisch kranken Mutter wieder zusammen lebenden Vaters sprechen.

(red.LS)

BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 5.9.2022 – 1 BvR 65/22 (OLG Koblenz)

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