Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überzeugt meines Erachtens im Ergebnis nicht.
a) Einleitung
Es ist zwar begrüßenswert, dass sie ersichtlich von dem Ansinnen getragen ist, Minderheiten nicht zu benachteiligen. Aber sollte deshalb wirklich dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt werden, auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell zu verzichten und damit das Geschlecht im Rechtssinn faktisch abzuschaffen? Hat das Bundesverfassungsgericht die Einschätzungsprärogative hinreichend beachtet, wonach es das – in der Verfassung statuierte – Vorrecht des Gesetzgebers ist, über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer bestimmten gesetzlichen Regelung zur Erreichung eines legitimen Ziels letztverbindlich zu entscheiden? Die legislative Entscheidung ist insoweit nur beschränkt durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar. Die Prüfung beschränkt sich aufgrund des Beurteilungs- und Einschätzungsvorrangs auf offensichtliche Verstöße. Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will. Hinzu kommt: Der antragstellenden Person ging es gar nicht um die Eingehung einer Partnerschaft oder um andere – im Familienrecht verhaftete – Ansprüche. Es ging ihr allein um die Eintragung als "divers", obgleich sie – bei tatsächlich nachgewiesener Intersexualität – hätte erreichen können, dass ihr Eintrag als Mädchen gelöscht wird und sie so faktisch als "divers" hätte weiterleben können.
b) Probleme der Intersexualität
An sich bestand das Problem bei der Intersexualität darin, dass Personen, die sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale aufwiesen, in der Vergangenheit verfrüht in eine Richtung operiert worden waren, wobei sich teilweise erst später herausgestellt hat, dass es das "falsche" Geschlecht war. Es ging aber grundsätzlich nicht um die Frage, ob eine betroffene Person zwischen den Geschlechtern verharren will. Dies geht auch aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage hervor, wonach die europäische Forschergruppe "DSD-Life" im Jahr 2015 Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung zu ihrer Identität befragte. Dabei definierten sich von 1.040 Probanden nur zwölf nicht als "männlich" oder "weiblich". Menschen mit einer "Besonderheit der Geschlechtsentwicklung" ordnen sich "fast immer einem der beiden Geschlechter zu", wie der Intersexualitätsexperte der Universitätsklinik Lübeck feststellt.
Dem ist der Gesetzgeber aber mit § 22 Abs. 3 PStG in der seit 1.11.2013 geltenden Fassung gerecht geworden. Danach wird das Geschlecht des Kindes im Geburtenregister beurkundet. Der Personenstandsfall ist ohne Angabe des Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Die Eintragung "inter" oder "divers" sah das Gesetz dagegen nicht vor.
c) Zurzeit keine Verankerung der Intersexualität im Familienrecht
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergibt sich zudem, dass die Gesetze – jedenfalls zurzeit – keinen Unterbau für diejenigen Intersexuellen enthalten, die zwischen den Geschlechtern verharren wollen. Vor allem spricht auch das Grundgesetz von Männern und Frauen. Weder die Verfassung noch das Bürgerliche Gesetzbuch kennen ein "divers" oder "intersexuell" als familienrechtliche Kategorie. Das bedeutet, dass die betroffene Person außer der Bezeichnung "divers" anstatt einer unterbliebenen Eintragung keine materiellen Vorteile durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erreichen kann.
d) Abschaffung des Geschlechts
Überraschend ist der Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts, der Gesetzgeber könnte auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell verzichten und damit das Geschlecht im Rechtssinn abschaffen. Denn mit der Einführung des § 45b PStG mit Wirkung vom 22.12.2018 haben bis zum 31.12.2020 gerade einmal 394 Personen eine Erklärung abgegeben, nach der die Eintragung "divers" lauten oder der Geschlechtseintrag gestrichen werden soll. Das sind bezogen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland 0,0004741276 %.
Mit der Eintragung "divers" hilft man den Wenigen, die sich anders als die Mehrheit definieren wollen, aber auch nicht wirklich weiter. Nach Ansicht des sozialen Netzwerks Facebook gibt es 60 Geschlechtsdefinitionen. Wollte man dem mit jeweiligen Einzelfallgesetzen gerecht werden, würde das sicherlich – bei dazugehörigem Unterbau im Familienrecht – den Rahmen sprengen. Gibt es denn nicht Grundfesten in der Verfassung, die die Beibehaltung des Geschlechts möglicherweise fordern? Wäre es nicht verfassungswidrig, wenn man der Frau oder dem Mann ihr oder sein Geschlecht nähme? Im Anschluss an einen anlässlich diesen Falls gehaltenen Vortrag meinte eine Kollegin: "Ich bin gerne Frau". Was soll man dem hinzufügen? Folgte man immer dem "Zeitgeist", nähme man der Gesellschaft Werte und Normen, ...