Die wohl größte Neuerung der Brüssel-IIb-VO ist die Abschaffung des Exequaturverfahrens für die Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat. Während die Brüssel-IIa-VO nur bei sog. privilegierten Entscheidungen, also solchen betreffend das Umgangsrecht oder die Rückgabe des Kindes, auf eine Vollstreckbarerklärung im anderen Mitgliedstaat verzichtete, ist nunmehr das gesonderte Vollstreckbarerklärungsverfahren für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung abgeschafft. Grund hierfür ist nach Auffassung der Kommission, dass das Erfordernis der Exequatur im Kindschaftsrecht ein "Hindernis für den freien Verkehr von gerichtlichen Entscheidungen" darstellt und "mit unnötigen Kosten und Fristen für Eltern und ihre Kinder" einhergeht.[46] Dies leuchtet unmittelbar ein, wenn man sich vor Augen führt, dass die Zeit bis zur Erlangung der Vollstreckbarerklärung einer Sorgerechtsentscheidung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich war und teilweise bis zu zwei Jahre betrug.[47]

Entscheidungen zur elterlichen Sorge werden nunmehr sämtlich gem. Art. 30 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO ohne besonderes Verfahren in allen Mitgliedstaaten anerkannt und sind gem. Art. 34 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO dort unmittelbar vollstreckbar. Wird die Entscheidung mit der Anordnung weiterer Maßnahmen zum Schutz des Kindes verbunden, die in dem anderen Staat zu erfolgen haben, gilt die sofortige Anerkennung und Vollstreckung auch für diese.

Die Vollstreckung erfolgt gem. Art. 31 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO unmittelbar bei Vorlage der Ausfertigung der Entscheidung und einer Bescheinigung gem. Art. 36 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO, die nach Art. 103 Brüssel-IIb-VO das Erkenntnisgericht auf Antrag ausstellt. Diese Bescheinigung wird gem. Art. 55 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO der Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, vor der ersten Maßnahme zugestellt. Selbiges gilt nach Art. 47 Brüssel-IIb-VO auch für privilegierte Entscheidungen.

[46] Erwägungsgrund Nr. 58; COM (2016) final 411, S. 4, 9, 16.
[47] COM (2016) final 411, S. 4.

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