Das Vollstreckungsgericht kann allerdings die Vollstreckung aus bestimmten abschließend aufgezählten Gründen versagen. Bei privilegierten Entscheidungen ist einziger möglicher Versagungsgrund nach Art. 50 Brüssel-IIb-VO die Unvereinbarkeit mit einer späteren Entscheidung. Bei nicht privilegierten Entscheidungen entsprechen die Gründe für eine Vollstreckungsversagung gem. Art. 41 Brüssel-IIb-VO den Anerkennungsversagungsgründen, die abschließend in Art. 39 Brüssel-lIb-VO aufgeführt sind.
Nach Art. 39 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO ist die Anerkennung und Vollstreckung einer nicht privilegierten Entscheidung zwingend zu versagen, wenn dies der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates widersprechen würde, wenn die Verfahrensrechte eines Beteiligten verletzt wurden, wenn die Person, in deren elterliche Verantwortung die Entscheidung eingreift, nicht angehört wurde, wenn die Entscheidung mit einer späteren im Vollstreckungsmitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist oder wenn das Verfahren zur Unterbringung des Kindes nach Art. 82 Brüssel-IIb-VO nicht eingehalten wurde.
Über die Versagung nach Art. 39 Abs. 2 Brüssel-IIb-VO kommt wiederum dem neuen in Art. 21 Brüssel-IIb-VO normierten Recht des Kindes auf Meinungsäußerung Bedeutung zu: Wird dem Kind, das fähig ist, eine eigene Meinung zu bilden, seitens des Erkenntnisgerichts nicht die Möglichkeit zur Äußerung gegeben, kann dies zur Exequaturverweigerung führen. Während die Anerkennung bei Vorliegen der Gründe nach Art. 39 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO zwingend zu versagen ist, steht jedoch die Versagung der Anerkennung aufgrund der fehlenden Anhörung des Kindes im Ermessen des Vollstreckungsgerichts. Über zwei Ausnahmen wird darüber hinaus der Tatsache, dass die Kindesanhörung keine absolute Pflicht ist, Rechnung getragen: Ist allein das Vermögen des Kindes betroffen oder liegen schwerwiegende gegen die Kindesanhörung sprechende Gründe vor, kommt eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung nicht in Betracht.
Trotz der Ausgestaltung als Kann-Vorschrift liegt hierin eine spürbare Stärkung der Berücksichtigung von Kindeswohlgesichtspunkten im Vergleich zur Brüssel-IIa-VO. Bislang kam es häufig zu erheblichen praktischen Problemen aufgrund der unterschiedlich hohen nationalen Anhörungsstandards der Mitgliedstaaten einerseits sowie der unterschiedlichen Anhörungsstandards im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren andererseits. Die Vorgängernorm Art. 23b Brüssel-IIa-VO sah zwar eine zwingende Versagung der Anerkennung der Entscheidung bei fehlender Anhörung des Kindes vor, wenn damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des anerkennenden Mitgliedstaats verletzt wurden. Aufgrund der unterschiedlichen Handhabung der Anhörung des Kindes konnte es aber dazu kommen, dass das Vollstreckungsgericht die Anerkennung der Entscheidung verweigerte, auch wenn die im Entscheidungsmitgliedstaat geltenden Anhörungsbestimmungen eingehalten worden waren, was zu erheblichen Unsicherheiten und Verzögerungen führte. Indem Art. 39 Abs. 2 Brüssel-IIb-VO auf Art. 21 Brüssel-IIb-VO verweist, ist nunmehr für das Erkenntnis- und das Vollstreckungsverfahren harmonisiert, dass eine Kindesanhörung stattzufinden hat. Dabei richtet sich die Kindesanhörung nach dem autonomen Maßstab des Art. 21 Brüssel-IIb-VO. Diese neue einheitliche Vorgabe lässt einen Rückgang der Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung wegen unzureichender Kindesanhörung vermuten. Mit der Ausgestaltung als Ermessensvorschrift wird begrüßenswerterweise der Problematik Rechnung getragen, dass die Nichtanerkennung der Entscheidung ihrerseits das Kindeswohl gefährden kann.