Statt einer Vollstreckungsversagung nach Art. 39 oder Art. 50 Brüssel-IIb-VO kann es auch zur Aussetzung oder Einstellung der Vollstreckung kommen. Hierfür ist nunmehr das Gericht des Vollstreckungsstaates zuständig. Unter der Brüssel-IIa-VO und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH war dies anders: Eine Entscheidung musste anerkannt und vollstreckt werden, wenn das Ursprungsgericht eine Vollstreckungsbescheinigung entsprechend der Art. 40 ff. Brüssel-IIa-VO ausgestellt hatte. Für alle Fragen in Bezug auf die Vollstreckung war weiter das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zuständig, sogar für den Einwand, dass die Bescheinigung nicht den vorgegebenen Anforderungen gerecht wurde. Eine Ausnahme dieses Ausschlusses jeglicher Überprüfbarkeit durch das Vollstreckungsgericht galt nur dann, wenn die Bescheinigung nicht nur fehlerhaft, sondern aufgrund schwerster Mängel nichtig war. Ungeklärt war, ob eine solche Nichtigkeit und damit eine Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts bestand, wenn der Anwendungsbereich der Art. 40 ff. Brüssel-IIa-VO gar nicht eröffnet war und damit eine entsprechende Vollstreckungsbescheinigung vom Erkenntnisgericht überhaupt nicht hätte ausgestellt werden dürfen. Einer Übermittlung dieser Frage an den EuGH nach Art. 267 AEUV bedarf es aber mit der neuen Brüssel-IIb-VO wohl nicht mehr, da eine Bescheinigung gem. Art. 30 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1 Brüssel-IIb-VO nunmehr für alle Entscheidungen betreffend die elterliche Verantwortung ausgestellt wird und die unmittelbare Anerkennung und Vollstreckbarkeit dieser zur Folge hat, mithin ein einheitlicher Anwendungsbereich vorliegt. Dass im Fall der Nichtigkeit der Bescheinigung für das Vollstreckungsgericht aus dieser keinerlei Konsequenzen folgen, dürfte im Gegensatz zur Frage der Überprüfungsmöglichkeit des Anwendungsbereichs für die Erstellung einer Bescheinigung ohnehin unumstritten gewesen sein und damit auch keiner weiteren Klärung bedürfen. Die Notwendigkeit der Differenzierung ergibt sich daraus, dass die für die Annahme einer Nichtigkeit erforderlichen schweren Mängel derartig auf der Hand liegen müssen, dass sie – anders als die Beantwortung der Frage des Anwendungsbereichs, für die zumindest eine überschlägige Prüfung seitens des Vollstreckungsgerichts erfolgen muss – ohne weitere inhaltliche Befassung in der Sache festgestellt werden kann und damit keine tatsächliche "révision au fond", also sachliche Überprüfung der Sache erfolgt, die nach Art. 71 Brüssel-IIb-VO ausdrücklich verboten ist.
Dass die Zuständigkeit des Erkenntnisgerichts des Ursprungsstaates auch für alle sich während der Vollstreckung im Vollstreckungsstaat stellenden Fragen im Hinblick auf den möglichst umfassenden Schutz des Wohls des betroffenen Kindes nicht unproblematisch war, dürfte auf der Hand liegen, insbesondere im Fall von neu auftretenden tatsächlichen Hindernissen, die am besten vor Ort in Ansehung der konkreten Umstände beurteilt werden können. Insofern ist es zu begrüßen, dass sich nunmehr das orts- und damit auch sachnähere Vollstreckungsgericht hiermit zu befassen hat.
Die diesbezüglich einschlägigen Art. 56 Abs. 1 und Abs. 2 Brüssel-IIb-VO sehen hierfür in Gestalt einer Mindestharmonisierung zunächst verfahrensrechtliche Umstände vor, die eine Aussetzung der Vollstreckung begründen können, etwa bei Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die zu vollstreckende Entscheidung. Nach Art. 56 Abs. 4 Brüssel-IIb-VO kann die Vollstreckung auch dann ausgesetzt werden, wenn dies aufgrund – nachträglich aufgetretener – vorübergehender Hindernisse oder wesentlicher Änderungen der Umstände für das Kind die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens mit sich bringen würde. Der Verordnungsvorschlag der Kommission sieht hierfür als Beispiele eine schwere Krankheit oder einen starken entgegenstehenden Willen des Kindes vor. Dabei wird klargestellt, dass die Prüfung der daraus folgenden Unvereinbarkeit der Vollstreckung mit dem Kindeswohl ähnliche Bedeutung haben soll wie der Ordre-public-Vorbehalt. Waren diese Umstände bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Ursprungsmitgliedstaates objektiv vorhanden, können sie einer Vollstreckung nicht entgegenstehen, auch wenn sie vom Erkenntnisgericht falsch bewertet oder übersehen wurden.
Antragsbefugt ist die Person, gegen die die Vollstreckung erwirkt werden soll, sowie, falls im nationalen Recht vorgesehen, das Kind und bei Abs. 4 eine interessierte Partei, die im Interesse des Kindeswohls handelt. Dabei müssen aber vor der Aussetzung zunächst selbst oder mit Hilfe anderer Stellen alle geeigneten Schritte ergriffen werden, um die Vollstreckung unter Abwendung der Gefahr für das Kindeswohl doch zu ermöglichen, etwa durch die Hinzuziehung von Psycholog*innen oder Sozialarbeiter*innen. Die Vollstreckung ist wiederaufzunehmen, wenn die schwerwiegende Gefahr für das Kindeswohl nicht mehr besteht (Art. 56 Abs. 4 Brüssel-IIb-VO), kann aber auch...