Inge Saathoff
Auch bei der Lektüre dieser Ausgabe der FF werden Sie sicher an verschiedenen Stellen denken: "Schon wieder etwas Neues, was soll ich denn noch berücksichtigen?" oder "Diese Überlegung des OLG kann ich meinem Mandanten wohl kaum nachvollziehbar darlegen." Auch die Hinweise auf zahlreiche Haftungsfallen in Fortbildungen lassen uns grübeln, welche Akten im eigenen Bürokeller dies wohl betreffen könnte und ob die Vermögensschadenshaftpflicht wohl ausreicht, um noch ruhig schlafen zu können. Denn oft gilt die Devise: "Von allen Indianern, die an den Gleisen lauschen, hätte der Anwalt den herannahenden Zug zuerst hören müssen".
In gerichtlichen Verfahren wollen Sie sich durch gute und dementsprechend erfolgreiche Vertretung auszeichnen und müssen feststellen, wie bei stets zunehmenden Belehrungen seitens des Gerichtes der Gegenseite trotz Unzulänglichkeiten im Vortrag aufs Pferd geholfen wird. Auch Mandate mit persönlichen Schicksalen belasten uns, kann man doch nicht immer an der Büroschwelle abschalten und die Probleme anderer in den Akten liegen lassen, anstatt sie nach Hause zu tragen.
Aber mal ehrlich, wer kann schon von sich behaupten, einen derart vielseitigen und interessanten Beruf ausüben zu dürfen. Gerade wenn es "menschelt", ist die Kehrseite der Medaille doch auch, dass die Fälle immer wieder neue, individuelle Seiten zu Tage bringen. Dachte man früher, die deutschen Fernsehproduktionen seien arg konstruiert und die Nachmittagstalkshows zu Themen wie "Hilfe, ich bin verwandt mit meiner Mutter!" gar nicht mit echten Menschen, sondern Schauspielern besetzt, so weiß man nach einigen Jahren Tätigkeit als Anwalt im Familienrecht, die Realität ist noch viel bunter und teilweise auch abstruser.
Und so sind es nicht selten gerade diese Karikaturen von Lebenssachverhalten, die einen zum Schmunzeln oder auch Nachdenken bringen. Wenn z.B. eine Mandantin im Rahmen der VKH-Entpflichtung den Vertrauensverlust im Mandatsverhältnis damit begründet, die Anwältin habe von ihr immer verlangt, arbeiten zu gehen. Aber auch dann, wenn der Mandant, der selbst einräumt, seine Frau geschlagen zu haben, die Zerrüttung der Ehe infrage stellt, weil seine Frau sich schließlich nie dahingehend geäußert habe, sich in der Ehe nicht wohl zu fühlen. In solchen Mandaten muss man sich gut überlegen, ob man sich dem Wunsch des Mandanten anschließt, der getrennt lebenden Ehefrau endlich mal "die Visitenkarten zu lesen". In diesen Situationen macht es unseren Beruf ebenso anstrengend wie abwechslungsreich, indem wir als Katalysator dienen und aus den Emotionen die Ansprüche, die "gegeneinander aufgewiegelt werden sollen", herausfiltern müssen. So ist es dementsprechend Lob für Ihre Tätigkeit, wenn der Mandant selbst das Gefühl hat, nach der Beratung in der Krise endlich wieder "mit beiden Beinen auf den Füßen zu stehen" und auch nicht von dem gegnerischen Kollegen "über das Ohr gelegt worden zu sein". Dies, wo doch mancher Mandant entsprechende Besorgnis hatte, weil er schon mehrfach mit solchen Problemen "auf den Kopf gefallen war".
Gerade in Trennungssituationen gibt es in der Regel kein klares Richtig oder Falsch oder wie es eine Mandantin zusammenfasste: "Ich bin doch nicht alleine schuld, da kann er schließlich auch was von zu". Umso mehr bieten uns diese Mandate die Möglichkeit, zu gestalten und Einigungen zu erarbeiten, mit welchen die Beteiligten auch zukünftig noch vernünftig miteinander umgehen können. Mit der emotionalen Distanz einerseits, aber auch mit Berufserfahrung andererseits lassen sich doch sehr oft gute Lösungskonzepte finden, auf welche die Beteiligten wegen ihrer persönlichen Verstrickung ohne die anwaltliche Hilfe nicht gekommen wären. Diese Erfolge sind es, aus welchen sich viel Energie und auch viel Zufriedenheit für die sonstige Arbeit ziehen lässt.
Und wurde der Mandant dann doch "aus heiteren Wolken" verklagt und ist es in der ersten Instanz nicht so gelaufen, wie gewünscht, so besteht ja immer noch die Möglichkeit, gegen die Entscheidung in "Rebellion" zu gehen.
Inge Saathoff, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Oldenburg