BGB § 839 S. 1 § 1716 S. 2 § 1833 Abs. 1 S. 1 § 1915 Abs. 1 S. 1; GG Art. 34 S. 1
Leitsatz
Zur Haftung des Jugendamtes bei Ausübung einer unterhaltsrechtlichen Beistandschaft.
BGH, Urt. v. 4.12.2013 – XII ZR 157/12 (KG Berlin, LG Berlin)
1 Tatbestand
[1] Die Klägerinnen begehren von dem beklagten Land Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Kindesunterhalt durch das Jugendamt.
[2] Im September 2004 übernahm das Jugendamt auf Antrag der Mutter der beiden minderjährigen Klägerinnen für diese die Beistandschaft, um Unterhaltsansprüche gegen deren Vater (im Folgenden: Streithelfer) geltend zu machen. Erstmalig forderte das Amt den Streithelfer im September 2004 zur Auskunft und vorläufigen Unterhaltszahlung auf. Der Streithelfer, der sich im Jahr 2003 mit einem Heizungs- und Sanitärbetrieb selbstständig gemacht hatte, erteilte dem Amt im Oktober 2004 Auskunft. Dieses ermittelte ein monatliches Einkommen des Streithelfers von rund 3.165 EUR und forderte ihn im Dezember 2004 auf, den Klägerinnen ab Oktober 2004 170 % des jeweiligen Regelbetrags zu zahlen; dies entsprach einem Tabellenbetrag von jeweils 339 EUR, abzüglich eines Kindergeldanteils von 77 EUR mithin 262 EUR. Im Februar 2005 erkannte der Streithelfer mit notariellen Urkunden die Verpflichtung zur Zahlung eines statischen Unterhaltsbetrags für die Klägerinnen in Höhe von jeweils 262 EUR bis April 2006 an und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Mit Ablauf dieses Zeitraums übersandte der Streithelfer weitere notarielle Urkunden, mit denen er sich für die sich hieran anschließende Zeit zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtete. Im Oktober 2008 wurde die Beistandschaft des Jugendamts aufgehoben.
[3] Auf die Klage, die die Klägerinnen im Wesentlichen damit begründet haben, sie hätten während der Beistandschaft keinen den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Streithelfers entsprechenden Unterhalt erhalten, hat das Landgericht das beklagte Land zur Zahlung von 5.130 EUR an die Klägerin zu 1 und 4.086 EUR an die Klägerin zu 2 jeweils nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht die Zahlungsverpflichtung hinsichtlich der Klägerin zu 1 auf 1.168 EUR und hinsichtlich der Klägerin zu 2 auf 1.078 EUR nebst Zinsen reduziert. Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, soweit zu ihrem Nachteil kein zusätzlicher Unterhalt für die Zeit vom 1.1.2005 bis zum 30.4.2006 berücksichtigt worden ist.
2 Gründe:
[4] Die Revision ist teilweise begründet.
[5] I. Das Kammergericht hat seine Entscheidung bezogen auf den hier noch im Streit befindlichen Zeitraum von Januar 2005 bis 30.4.2006 wie folgt begründet: (wird ausgeführt)
[9] II. Die angegriffene Entscheidung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
[10] 1. Das Kammergericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass als Anspruchsgrundlagen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zum einen § 839 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG und zum anderen § 1716 S. 2 BGB i.V.m. §§ 1833 Abs. 1 S. 1, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1999 – III ZR 248/98, FamRZ 1999, 1342, 1344; OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 801; MüKo-BGB/Wagenitz, 6. Aufl., § 1833 BGB Rn 2). Eine Pflichtverletzung liegt danach in jedem Verstoß gegen das Gebot treuer und gewissenhafter Amtsführung (MüKo-BGB/Wagenitz, 6. Aufl., § 1833 BGB Rn 3). Die Frage, ob der mit der Ausübung der Aufgaben der Beistandschaft betraute Amtsträger seine dem Kind gegenüber bestehenden Pflichten verletzt hat, ist maßgeblich danach zu beantworten, wie der Wirkungskreis der Beistandschaft beschaffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1999 – III ZR 248/98, FamRZ 1999, 1342, 1344).
[11] Da dem Jugendamt gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegend die Aufgabe zugewiesen ist, im Rahmen der Beistandschaft Unterhaltsansprüche für minderjährige Kinder geltend zu machen, können diese darauf vertrauen, dass das Jugendamt diese Aufgabe fachkundig erledigt. Grundsätzlich obliegt es der Behörde, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihre mit der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben benötigten Rechtskenntnisse erwerben oder die Vorgänge in Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt (vgl. Senatsbeschl. v. 27.2.2013 – XII ZB 6/13, FamRZ 2013, 779 Rn 8).
[12] 2. Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nur teilweise gerecht.
[13] a) Soweit es allerdings die Frage anbelangt, ab wann das Jugendamt von dem Streithelfer erneut Auskunft hätte verlangen müssen, sind die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nicht erfüllt.
[14] Dabei kann dahinstehen, ob dem Berufungsgericht dahin zu folgen ist, dass die zweijährige Sperrfrist des § 1605 Abs. 2 BGB auch dann anzuwenden ist, wenn die frühere Auskunft nur den Zeitraum des Beginns einer selbstständigen Tätigkeit umfasste. Ebenso kann die Frage unbeantwortet bleiben, ob d...