GG 6 Abs. 2 S. 1; BGB § 1666
Leitsatz
1. Bestehen an der Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens Zweifel, weil dem Gutachten Fragestellungen zugrunde gelegt sind, mittels derer die von Verfassungs wegen zu ermittelnden tatsächlichen Umstände nicht ohne Weiteres geklärt werden können, und weil die Sachverständige dem Beschwerdeführer möglicherweise nicht mit der gebotenen Neutralität begegnet ist, so führt dies nicht zwangsläufig dazu, dass die Ausführungen der Sachverständigen vollständig unverwertbar wären. Die Gerichte müssen dem jedoch Rechnung tragen.
2. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefahrenfeststellung werden verfehlt, wenn die Fachgerichte zwar auf mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit der Eltern eingehen, ohne dass sich daraus aber ergibt, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes sind und weshalb diese Gefahren so gravierend sind, dass sie eine Fremdunterbringung legitimieren. Dass eine die Fremdunterbringung verfassungsrechtlich rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls in der Sache vorliegt, muss zumindest indirekt durch die in den Entscheidungen und im Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen belegt werden.
(Leitsätze der Redaktion)
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss v. 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14 (OLG Hamm, AG Paderborn)
1 Gründe:
[1] I. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass ihm – wie auch der Mutter – die elterliche Sorge für eine im Februar 2013 geborene Tochter entzogen und auf das Jugendamt übertragen wurde.
[2] 1. Der Beschwerdeführer stammt aus G. und lebt seit Anfang 2012 zunächst als Asylbewerber, inzwischen geduldet in Deutschland. Die Mutter leidet unter gravierenden psychischen Erkrankungen, keines ihrer vier älteren Kinder lebt bei ihr. Sie wurde in den Monaten vor der Entbindung in einem Mutter-Kind-Heim betreut. Der Beschwerdeführer und die Mutter haben sich noch während der Schwangerschaft getrennt, der Beschwerdeführer hat eine neue Lebensgefährtin.
[3] Im Oktober 2012 haben der Beschwerdeführer und die Mutter vorgeburtlich eine Vaterschaftsanerkennung und gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben.
[4] a) Unter Verweis auf die psychische Situation der Mutter und die nicht transparente Wohn- und Lebenssituation des Beschwerdeführers regte das Jugendamt unmittelbar vor dem voraussichtlichen Geburtstermin an, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. Das Amtsgericht entzog daraufhin beiden Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen und bestellte das Jugendamt zum Ergänzungspfleger.
[5] Mitte Februar 2013 wurde die Tochter des Beschwerdeführers geboren. Sie wurde nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in einer Pflegefamilie untergebracht, wo sie seitdem lebt. Anfang Mai 2013 traf das Amtsgericht eine Umgangsregelung, nach der begleitete Kontakte stattfanden.
[6] b) Im hier verfahrensgegenständlichen Hauptsacheverfahren beantragte der Beschwerdeführer, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen.
[7] aa) Das Amtsgericht gab ein Sachverständigengutachten dazu in Auftrag, ob die Eltern in der Lage seien, das körperliche, geistige und seelische Kindeswohl sicherzustellen und somit erziehungsfähig seien. Die Sachverständige hielt die Mutter für krankheitsbedingt erziehungsunfähig und den Beschwerdeführer nur teilweise für erziehungsfähig; sie empfahl, das Kind weiterhin in einer Pflegefamilie unterzubringen.
[8] Nach mündlicher Verhandlung entzog das Amtsgericht mit Beschl. v. 17.9.2013 beiden Eltern die gesamte elterliche Sorge und bestellte das Jugendamt zum Vormund. Das Kindeswohl sei gefährdet. Die Mutter sei krankheitsbedingt erziehungsunfähig. Der Beschwerdeführer sei derzeit nur eingeschränkt erziehungsfähig. Dies habe die Sachverständige, welche dem Gericht auch aus anderen Verfahren als kompetente und erfahrene Gutachterin bekannt sei, in ihrem schlüssigen, nachvollziehbaren und uneingeschränkt verwertbaren Gutachten festgestellt, dem das Gericht sich vollumfänglich anschließe.
[9] Der Beschwerdeführer könne derzeit das körperliche, geistige und seelische Wohl der Tochter nicht sicherstellen. Es fehle ihm (noch) an Kernkompetenzen bei der Kindeserziehung. Ihm habe nach den Ausführungen der Sachverständigen in den von ihr beobachteten Umgangskontakten oft die Fähigkeit gefehlt, auf die konkreten Bedürfnisse des Kindes einzugehen. So habe er mehrmals versucht, das Kind mittels Schütteln auf dem Arm zu beruhigen, was alle Beteiligten als dem Alter der Tochter unangemessen beschrieben hätten.
[10] Bei dem Beschwerdeführer liege weiter eine erhebliche Bindungsintoleranz in Bezug auf die Mutter vor, denn er habe ausdrücklich bekundet, sich nur seine derzeitige Lebensgefährtin als Mutter der Tochter vorzustellen, die Kindesmutter tauche in der Lebensplanung nicht mehr auf.
[11] Zudem sei sein aufenthaltsrechtlicher Status nach wie vor nicht endgültig geklärt. Zwar löse dies allein keine Kindeswohlgefahr aus. Die dam...