Auch im Familienrecht war es vor allem das Bundesverfassungsgericht, das unter Bezugnahme auf die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 6 Abs. 1 GG, teilweise in Verbindung mit der Menschenwürde (Art. 1 GG), rechtsfortbildend wirkte. Stichwort ist im Kindschaftsrecht die Gleichwertigkeit biologischer, rechtlicher und sozialer Elternschaft. Es geht dabei um Gerechtigkeit im Familienrecht. Nachdem die traditionellen Familienstrukturen immer mehr verschwimmen, kann nicht auf überkommene Familienbilder abgestellt werden. Signifikant ist dies im Kindschaftsrecht. Es knüpft überwiegend noch an die Ehe als Kern der Familie an. Beispiele sind die Vaterschaftsvermutung (§ 1592 Nr. 1 BGB), das gemeinsame Sorgerecht (§§ 1626a Abs. 1, 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB) und auch das Namensrecht (§ 1355 Abs. 1 BGB). Alleinerziehende Eltern, Fortsetzungsfamilien und Regenbogenfamilien zeigen, dass Realität und Normstruktur nicht mehr zusammenstimmen. Besonders deutlich wird dies auch am Beispiel der modernen Reproduktionsmedizin. Die diesbezügliche Rechtsfortbildung ist vor allem Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Gerichte. Die Rechtsprechung muss das geltende Recht im Lichte des Verfassungswandels auslegen und anwenden und auf diese Weise für Familiengerechtigkeit sorgen. Gerechtigkeit bedeutet im Hinblick auf die Unübersichtlichkeit hinsichtlich der Familienstrukturen, dass jedes Familienmitglied einen Anspruch darauf hat, fair behandelt zu werden. Dies betrifft nicht nur das Vermögensrecht der Familien, sondern vor allem auch die Familienbeziehungen.
Bedeutet Gerechtigkeit im Familienrecht, dass kein Familienmitglied ausgegrenzt wird, wird sich der Scheinvater doppelt betrogen fühlen: Zum einen durch das Unterschieben eines Kindes und zum anderen durch das faktische Aushebeln des gesetzlich vorgesehenen Unterhaltsregresses. Insofern kann ihm nur der Gesetzgeber mit der Einführung einer Auskunftspflicht helfen. Sie dient auch dem Schutz des Kindes, das sonst unter den Druck des Scheinvaters gerät, die Auskunft einzuholen bzw. die eingeholten Informationen zu offenbaren. Diesem droht die Gefahr, in den Konflikt zwischen den drei beteiligten Elternfiguren hineingezogen zu werden.
Autor: Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz , Notar in Regen und Zwiesel, Honorarprofessor an der Universität Regensburg
FF 2/2016, S. 48 - 52