Die Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom-III-Verordnung auf gerichtliche Scheidungen, die der Gerichtshof bereits in der ersten Sahyouni-Entscheidung angedeutet hatte, wirft einige Folgefragen auf, vor allem: Wenn die Rom-III-Verordnung Privatscheidungen nicht erfasst, welche Kollisionsnormen bestimmen dann das anwendbare Recht, an dem die Zulässigkeit, die Wirksamkeit und die Wirkungen einer Privatscheidung zu messen sind?
1. Grundsätzlich analoge Anwendung der Rom-III-Verordnung kraft mitgliedstaatlichen Rechts
Die richtige Antwort sollte lauten: Solange der deutsche Gesetzgeber die planwidrige Lücke im deutschen Kollisionsrecht nicht schließt (vgl. sogleich unten I. 3.), sollte die Rom-III-Verordnung analog auf Privatscheidungen angewandt und nicht etwa auf Art. 17 Abs. 1 EGBGB a.F. zurückgegriffen werden. Die analoge Anwendung der Rom-III-Verordnung kraft nationalen Rechts scheint am ehesten der Intention des deutschen Gesetzgebers zu entsprechen. Auch vermeidet eine entsprechende Anwendung kollisionsrechtliche Brüche. Ein Rückgriff auf das bisherige autonome Scheidungskollisionsrecht würde zum Vorrang der Staatsangehörigkeitsanknüpfung zurückkehren (vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F.), während im Übrigen bei Scheidungen das Aufenthaltsprinzip Vorrang genießt (vgl. Art. 8 lit. a und b Rom-III-VO). Diese Ungleichbehandlung ließe sich kollisionsrechtlich kaum rechtfertigen. Schließlich würde eine analoge Anwendung der Verordnung, wenn auch andere Mitgliedstaaten dieser Lösung folgen sollten, kraft mitgliedstaatlichen Rechts zu einem europäischen Entscheidungseinklang für Privatscheidungen führen, den der Unionsgesetzgeber zu schaffen versäumt hat – ein Argument, das übrigens auch für die anderen Mitgliedstaaten gilt, soweit sie an der Verordnung teilnehmen.
2. Grenzen der analogen Anwendung der Rom-III-Verordnung
Allerdings stößt die analoge Anwendung der Rom-III-Verordnung kraft mitgliedstaatlichen Rechts dort an Grenzen, wo die Regelungen der Verordnung auf gerichtliche Scheidungen zugeschnitten sind: So kann bereits die objektive Anknüpfung einer Privatscheidung nach Art. 8 Rom-III-VO ins Leere führen. Art. 8 lit. d Rom-III-VO verweist, insbesondere wenn die Ehegatten weder den gewöhnlichen Aufenthalt noch die Staatsangehörigkeit teilen, auf das "Recht des Staates des angerufenen Gerichts". Dieses Gericht existiert jedenfalls bei einer reinen Privatscheidung nicht, anders als womöglich bei einer Privatscheidung, die unter Mitwirkung oder gegenüber einer Behörde oder einem Gericht erklärt wird. Bei reinen Privatscheidungen bietet es sich an – quasi als "Lückenlückenfüllung" –, auf das Recht des Staates zu verweisen, zu dem die Ehegatten die engste Verbindung besitzen, wenn in Art. 8 Rom-III-VO nicht lit. a bis c greifen. Die subsidiäre Anknüpfung an die engste Verbindung ist nicht nur im europäischen (Art. 26 Abs. 1 lit. c der europäischen Güterrechtsverordnung), sondern auch im deutschen Familienkollisionsrecht (Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB) anerkannt.
Maßgeblicher Anknüpfungszeitpunkt kann bei der analogen Anwendung der Rom-III-Verordnung auf Privatscheidungen ferner nicht die "Anrufung des Gerichts" (vgl. Art. 8 lit. a bis c Rom-III-VO) sein, sondern muss der Zeitpunkt sein, zu dem der andere Ehegatte erstmals förmlich von der Scheidung oder dem Scheidungsverlangen erfährt. Eine parallele Problematik bestand bereits unter Art. 17 Abs. 1 EGBGB a.F., der anknüpfungstechnisch auf den "Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags" abstellte und damit bei Privatscheidungen ebenfalls Fragen aufwarf.
Auch bei den Rechtswahlmöglichkeiten der Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-VO sind bei der analogen Anwendung der Rom-III-Verordnung auf reine Privatscheidungen Abstriche zu machen. Mangels Beteiligung eines Gerichts können die Ehegatten nicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. d das Recht des angerufenen Gerichts wählen, jedenfalls wenn ein solches nicht an den Erklärungen mitwirkt.
Fragen wirft auch die analoge Anwendung des berüchtigten Art. 10 Rom-III-VO auf, der in seiner zweiten Alternative dem angerufenen Gericht gestattet, sein eigenes Scheidungsrecht anzuwenden, wenn das eigentlich anwendbare ausländische Recht "einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung" gewährt. Diese besondere ordre-public-Klausel, die eine abstrakte Normenkontrolle vorsieht und anders als der allgemeine ordre-public-Vorbehalt nicht auf das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts abstellt, kann auf Privatscheidungen nicht analog angewandt werden. Zwar sind vor allem Privatscheidungen in den vom islamischen Recht geprägten Jurisdiktionen oftmals diskriminierend, jedenfalls auf den ersten Blick, weil nur dem Ehemann eine einseitige Verstoßung der Ehefrau (ţal...