Allerdings schließt sich noch eine wichtige Frage an, die der Gerichtshof in Sahyouni nur mittelbar streift: Wie verhält sich die Entscheidung des Gerichtshofs zu den verfahrensrechtlichen Regeln über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen?
Nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB können Ehen im Inland nur durch ein Gericht geschieden werden. Privatscheidungen besitzen mithin für den deutschen Rechtsanwender nur Relevanz, wenn sie im Ausland vorgenommen wurden, jedenfalls solange der deutsche Gesetzgeber das Scheidungsmonopol der Gerichte nicht hinterfragt. Es gilt allerdings ein Vorrang des Verfahrensrechts vor dem Kollisionsrecht: Handelt es sich bei einer im Ausland vollzogenen Scheidung um eine gerichtliche oder behördliche, dann werden deren Gestaltungswirkungen im Wege der Entscheidungsanerkennung nach Art. 21 ff. der Brüssel-IIa-Verordnung (bei einer mitgliedstaatlichen Scheidung) bzw. nach §§ 107 ff. FamFG (bei einer drittstaatlichen Scheidung) ins Inland erstreckt, ohne dass es auf das kollisionsrechtlich anwendbare Scheidungsrecht ankommt. Nur wenn die Auflösung des Ehebands im Ausland ohne eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung im Sinne der Anerkennungsregeln erfolgt, kommt es darauf an, ob die Scheidungserklärungen nach dem maßgeblichen Scheidungskollisionsrecht (oben I.) zulässig und wirksam sind sowie Gestaltungswirkungen entfalten. Vor allem Tobias Helms und Dieter Henrich haben treffend darauf hingewiesen, dass die Grenzziehung zwischen gerichtlicher Scheidung und Privatscheidung eine immer formalistischere und damit willkürlichere Angelegenheit wird: Welchen materiellen Unterschied macht es heute noch, ob ein Gericht oder eine Behörde die Scheidung auf Antrag eines der oder beider Ehegatten ohne große materiellrechtliche Prüfung ausspricht oder bereits das Scheidungsverlangen eines der oder beider Ehegatten die Scheidung bewirkt? Wenn in der Sache für die Scheidung allein der einseitige oder übereinstimmende Scheidungswille maßgeblich ist, lässt sich eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Scheidungsformen im internationalen Privatrecht kaum noch rechtfertigen.
Dreh- und Angelpunkt für die Frage, ob es auf das Scheidungskollisionsrecht (und damit die Entscheidung des Gerichtshofs in Sahyouni) ankommt, ist damit der Entscheidungsbegriff des internationalen Scheidungsverfahrensrechts.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Entscheidungsbegriff in der Brüssel-IIa-Verordnung, vor allem im Hinblick auf die neuen außergerichtlichen Scheidungsformen in Frankreich, Italien und Spanien, womöglich auch Scheidungen im Graubereich zwischen gerichtlicher Scheidung einerseits und reiner Privatscheidung andererseits erfasst. Zwar geht der Gerichtshof in Sahyouni davon aus, dass der Scheidungsbegriff in der Rom-III-Verordnung und der Brüssel-IIa-Verordnung deckungsgleich ist (Rn 40 ff. des Urteils), sodass Privatscheidungen grundsätzlich auch nicht von der Brüssel-IIa-Verordnung erfasst sein werden. Die Idee, Privatscheidungen, die Niederschlag in einer öffentlichen Urkunde gefunden haben, unionsweit über Art. 46 Brüssel-IIa-VO zirkulieren zu lassen, greift der Gerichtshof nicht auf. Entscheidend aber wird sein, ab welcher Intensität einer staatlichen Beteiligung der Gerichtshof eine "konstitutive Mitwirkung" einer Behörde oder eines Gerichts (Rn 22 des Urteils) bejahen wird: Wie bereits erwähnt, soll nach dem Gerichtshof die Rom-III-Verordnung (und damit auch die Brüssel-IIa-Verordnung) anwendbar sein, wenn die Scheidung "unter [ … ] Kontrolle“ ("under the supervision", "sous [ … ] contrôle") einer Behörde "ausgesprochen wird"" (Rn 45 des Urteils). Der Gerichtshof möchte sich womöglich durch diese etwas unscharfe passivische Formulierung die Hintertüre offenhalten, Privatscheidungen mit behördlicher Begleitung in das europäische Scheidungskollisions- und Scheidungsverfahrensrecht miteinzubeziehen. Sollte der Gerichtshof dagegen die neuen Scheidungsformen aus dem europäischen Ausland im internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten verhungern lassen, so sollte der Unionsgesetzgeber tätig werden (vgl. auch Rn 47 des Urteils). Andernfalls würden Privatscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten grenzüberschreitend behandelt wie Drittstaatenscheidungen. Gelegenheit für Klarstellung bestünde etwa bei der laufenden Brüssel-IIa-Reform.
Auch der Entscheidungsbegriff in den §§ 107 ff. FamFG für drittstaatliche Scheidungen ist alles andere als klar umrissen: Nicht nur wird der Begriff der Entscheidung für Zwecke des zwingenden Anerkennungsverfahrens nach § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG (nicht aber für Zwecke der Anerkennungsvoraussetzungen nach § 109 FamFG) sehr weit ausgelegt und soll auch Privatscheidungen erfassen, sobald eine Behörde in irgendeiner Form, etwa bei der Registrierung der Scheidung, mitwirkt. Aber auch der Entscheidungsbegriff für die Anerkennungsvoraussetzungen nach § 109 FamFG wird zunehmend ausgedehnt, wie etwa eine jüngere abstammungsrechtliche ...