OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.3.2017 – 2 UF 106/16
Von der Vollstreckung eines die Rückführung eines Kindes nach dem HKÜ anordnenden Beschlusses ist abzusehen, wenn diese mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn die hierfür maßgebenden Umstände zwischen der Anordnung der Rückführung und den Vollstreckungsmaßnahmen eingetreten sind (Anschl. an OLG Hamburg NJW 2014, 3378 Rn 20 m.w.N.); vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.7.2017 – 6 UF 98/15.
OLG Hamm, Beschl. v. 6.1.2017 – 3 UF 106/16, FamRZ 2018, 51 m. krit. Anm. Dutta S. 131
a) Der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit ist im Ehescheidungsverfahren in allen Instanzen ein von Amts wegen unabhängig von etwaigen Anträgen oder Verfahrensrügen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis, sodass ein Scheidungsverbundbeschluss im Beschwerdeverfahren auch ohne ausdrücklichen Antrag in entsprechender Anwendung der §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 ZPO aufgehoben und das Verfahren zur erforderlichen dortigen Aussetzung an das Familiengericht zurückverwiesen werden kann.
b) Die anderweitige Rechtshängigkeit wegen eines im Libanon vor dem Scharia-Gericht zeitlich vorrangig eingereichten und zugestellten Ehescheidungs- und Abendgabe-Antrags gegenüber dem (vom selben Ehegatten) später anhängig und rechtshängig gemachten Ehescheidungsverbundverfahren vor dem deutschen Familiengericht folgt aus Art. 33, 34 des Luganer Übereinkommens bzw. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog.
c) Nach diesen Vorschriften ist gegenüber dem engen deutschen Rechtshängigkeits- und zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (identischer Sachantrag und Lebenssachverhalt) zur Vermeidung unvereinbarer gerichtlicher Kollisionen bei der Beurteilung der zwischenstaatlichen anderweitigen Rechtshängigkeit ein einheitlicher, den Begriff des "prozessualen Anspruchs" autonom auslegender weiter Verfahrensgegenstandsbegriff geboten, wonach es entscheidend darauf ankommt, ob bei wertender Betrachtung der "Kernpunkt" beider Verfahren der gleiche ist. Ein vor dem Familiengericht rechtshängiges verschuldensunabhängiges Ehescheidungsverfahren nach den §§ 1564 ff. BGB beruht insoweit auf dem gleichen Kernpunkt wie ein schon zuvor im Libanon vor dem dortigen Scharia-Gericht rechtshängig gewordenes, von der Ehefrau wegen nachgewiesenen Verschuldens des Ehemannes beantragtes Ehescheidungs- und Abendgabe-Verfahren nach den Art. 337 bis 345 des Libanesischen Familiengesetzes vom 16.7.1962.
Autor: Gabriele Ey , Vorsitzende Richterin am OLG Köln
FF 2/2018, S. 84 - 87