Der inhaltlichen Auseinandersetzung mit familienpsychologischen Sachverständigengutachten kommt zunehmend stärkere Bedeutung zu. Zu diesem Thema gibt es bisher nur wenige höchst- bzw. obergerichtliche Entscheidungen. Allerdings müssen im Rahmen der Qualitätsdiskussion auch die Familiengerichte ihrer Letztverantwortung für die Verwertung familienpsychologischer Sachverständigengutachten gerecht werden.
1. Bindung des Familiengerichts an ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten
Liegt ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten vor, hat dies für die Entscheidungsfindung des Familiengerichts große Bedeutung.
Zwar liegt die Letztverantwortung für die Entscheidung einer sorge- bzw. umgangsrechtlichen Fragestellung beim Familiengericht. Allerdings kann ein Familiengericht aus rechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres von den Ergebnissen eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens abweichen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG, der familiengerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur darf das Familiengericht von den Feststellungen oder Wertungen des Gutachters abweichen, wenn hierfür eine andere zuverlässige Entscheidungsgrundlage vorhanden ist, zum Beispiel ein vom Gericht eingeholtes zweites Gutachten. Auf jeden Fall bedarf die Abweichung von einem Gutachten einer sorgfältigen Begründung durch das Gericht.
2. Inhaltliche Anforderungen an ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten
Eine große Schwierigkeit bei der Überprüfung familienpsychologischer Sachverständigengutachten stellte bisher der Umstand dar, dass es keine allgemein verbindlichen Qualitätsstandards hierfür gab. Insoweit ist eine für die Praxis hilfreiche Veränderung eingetreten.
Durch eine breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe konnten am 16.9.2015 Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht definiert werden. Diese Mindestanforderungen haben zwar keine Gesetzeskraft, dürften aber handlungsleitend bei der Überprüfung familienpsychologisches Sachverständigengutachten sein. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Umstand, dass der Deutsche Bundestag diese Mindestanforderungen im Rahmen einer Entschließung einstimmig angenommen hat. Perspektivisch spricht einiges dafür, dass diese Mindestanforderungen – ähnlich wie die Düsseldorfer Tabelle im Unterhaltsrecht – Richtliniencharakter bei der Überprüfung familienpsychologischer Sachverständigengutachten haben werden. In der Rechtsprechung gibt es bereits erste Entscheidungen, die auf die Mindestanforderungen für die Bewertung von Gutachten bzw. für die Beurteilung der Befangenheit von Sachverständigen Bezug nehmen.
a) Fehlerquellen familienpsychologischer Sachverständigengutachten
aa) Allgemeine Grundsätze
Vorgelegte Gutachten hat das Familiengericht kritisch zu würdigen. Gegenstand der Überprüfung sind zugrunde gelegte tatsächliche Umstände, logische Schlüssigkeit, Tragfähigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der eingesetzten Erkenntnismethoden im Allgemeinen und der Schlussfolgerungen des Gutachters im Besonderen. Eine familiengerichtliche Entscheidung sollte erkennen lassen, warum dem Gutachten zu folgen ist, d.h. dass das Gericht die Gedankengänge des Sachverständigen nachvollzogen, dessen tatsächliche Feststellungen, die Anwendung der wissenschaftliche Erkenntnisse sowie die gezogenen Schlüsse in hinreichender Weise auf ihre Tragfähigkeit geprüft und sich eine eigene Überzeugung gebildet hat. Bei der Prüfung von familienpsychologischen Sachverständigengutachten ist auf folgende Punkte zu achten:
▪ |
fehlende wissenschaftliche Begründung und Tragfähigkeit |
▪ |
fehlende logische Schlüssigkeit |
▪ |
Widersprüchlichkeit |
▪ |
Unübersichtlichkeit |
▪ |
Verwendung falscher tatsächlicher Voraussetzungen |
▪ |
Verwendung streitiger Anschlusstatsachen |
▪ |
fehlende Bezeichnung von Gehilfen und vom Umfang deren Tätigkeit. |
Hinweis:
Als Bestandteil der Mindestanforderungen eignen sich für eine Überprüfung auch die im dortigen Anhang aufgeführten Fragen.