Interview mit Thomas Kutschaty, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen
Thomas Kutschaty
FF/Schnitzler: Sie hatten sich bei Ihrem Grußwort anlässlich der Eröffnung des 20. Deutschen Familiengerichtstages in Brühl im September 2013 intensiv mit dem Begriff der Familie beschäftigt und hierbei nicht nur die gesellschaftlichen Strukturen herausgearbeitet (Patchwork-Familie, Ein-Kind-Familie, Regenbogenfamilie), sondern auch gefordert, dass es sich geradezu anbietet, grundsätzliche Überlegungen zu einem neuen, in sich stimmigen Familienrechtsmodell zu fordern.
Ausgehend von einem einheitlichen Familienbegriff könnte ein homogenes Regelungssystem entworfen werden, so dass ein wiederholtes gesetzliches Nachjustieren im Familienrecht unterbleiben könne. Was meinen Sie mit einem einheitlichen Familienbegriff?
Kutschaty: Unser Familienrecht enthält – ebenso wenig wie Art. 6 Grundgesetz – keine Legaldefinition des Familienbegriffs. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung einen verfassungsrechtlichen Schutzbereich der Familie herausgearbeitet, der deutlich über das althergebrachte Familienverständnis "Vater – Mutter – Kind" hinausgeht. Den verfassungsrechtlichen Schutz aus Art. 6 Grundgesetz genießen demnach auch andere Lebensformen, wie Alleinerzieherhaushalte, Patchwork-Familienkonstellationen (mit oder ohne Trauschein) oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern. Der Bundesgesetzgeber hat sich bislang damit begnügt, "nachzusteuern", also nur das umzusetzen, was das Bundesverfassungsgericht jeweils angeordnet hat. Ich bin der Auffassung, dass die Diskussion zum Familienbegriff auch in der Politik geführt werden sollte. Denn die Schaffung eines einheitlichen Familienverständnisses und eines stimmigen Familienrechtsmodells ist gegenwärtig noch eine rechtspolitische Vision.
FF/Schnitzler: Bei demselben Anlass haben Sie auch die Frage der Anerkennung türkischer bzw. deutsch-türkischer Ehescheidungen in der Türkei angesprochen.
Es hat wenig Sinn eine Ehescheidung in Deutschland durchzuführen, die dann in der Türkei nicht anerkannt wird. Richtig ist zweifellos auch, dass derartige Anerkennungsverfahren in der Praxis häufig außerordentlich zeitaufwendig und darüber hinaus auch noch kostspielig sind. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn überhaupt, hier über die Bundesregierung Einfluss auf die Türkei nehmen zu können?
Kutschaty: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung die Möglichkeit hat, gerade über die Europäische Union Einfluss auf die Türkei zu nehmen. Denn die derzeitige Situation um die Anerkennungsverfahren in der Türkei ist nicht nur bürokratisch, sie ist auch für alle Beteiligten unbefriedigend. Das sollte uns doch reichen, um uns wenigstens für eine Verbesserung einzusetzen! Ich habe mich übrigens sehr über die Unterstützung gefreut, die in dieser Sache aus dem Kreis der Fachanwaltschaft kommt! Das zeigt mir, dass ich hier ein wichtiges Thema angesprochen habe.
FF/Schnitzler: Hier dürfte ja auch weniger die Untätigkeit der Bundesregierung eine Rolle spielen, als vielmehr die Bereitschaft der Türkei in bilateralen Verhandlungen zu einem Bürokratieabbau beizutragen. Gibt es hier irgendwelche neuen Erkenntnisse? Dies vor dem Hintergrund der zweifellos im größten Bundesland der Bundesrepublik häufig anzutreffenden Probleme in diesem Bereich?
Kutschaty: Wir sollten zumindest den Versuch unternehmen, auf die Türkei zuzugehen. Die Reaktion werden wir dann sehen. Nur bislang haben wir es nicht einmal versucht. Und das halte ich für falsch!
FF/Schnitzler: Die Struktur der Familiengerichte ist außerordentlich unterschiedlich. Wir haben inzwischen eine deutliche Zunahme von Familienrichterinnen. In dem Gespräch mit der Landgerichtspräsidentin in Bonn ist deutlich geworden, dass Familienrichterinnen inzwischen ganz überwiegend in den Amtsgerichten, aber auch bei den Oberlandesgerichten tätig sind. Ich persönlich bin der Meinung, dass es durchaus sinnvoll ist, auch Männer zu Familienrichtern zu ernennen. Hier sollte man auf einen vernünftigen Mix achten, dies gilt im Übrigen auch für die Familiensenate bei Oberlandesgerichten. Es ist heutzutage nicht sinnvoll, einen reinen Männersenat zu haben, genauso wenig wie einen reinen Frauensenat. Was ist Ihre Auffassung?
Kutschaty: Es ist gut und wichtig, dass an richterlichen Entscheidungen gerade auch in familienrechtlichen Angelegenheiten Frauen und Männer beteiligt sind. Zutreffend ist, dass die Zahl der Richterinnen, die Familiensachen bearbeiten, steigt. Dies ist nicht zuletzt auf die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegene Zahl der Frauen im richterlichen Dienst zurückzuführen, die sich erfreulicherweise auch in der Besetzung der Beförderungsämter niederschlägt. In Nordrhein-Westfalen sind inzwischen rund 40 Prozent der Richterstellen an den Oberlandesgerichten mit Frauen besetzt.
Wie Sie wissen, werden die Rechtsprechungsaufgaben eines Gerichts durch das jeweilige Präsidium unter den Richterinnen und Richtern verteilt. Die Präs...