Ausgangslage
Wird mit der Ehescheidung der Versorgungsausgleich zwischen den Eheleuten durchgeführt, sind häufig Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung betroffen. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung werden pro Jahr in etwa der Hälfte aller Scheidungsverfahren Rentenanrechte übertragen. 2009 verloren die Ausgleichspflichtigen dabei durchschnittlich 4,04 Entgeltpunkte. Dies entsprach einem Rentenwert von 109,93 EUR.
Für den Fall, dass nur geringfügige Versorgungsanrechte zu teilen sind, sieht das Gesetz seit der Strukturreform von 2009 in § 18 VersAusglG eine Bagatellklausel vor. Danach "soll" das Familiengericht den Versorgungsausgleich nicht durchführen, wenn die Differenz der Ausgleichswerte von beiderseitigen Anrechten gleicher Art (§ 18 Abs. 1 VersAusglG) oder der Ausgleichswert eines einzelnen Anrechts gering ist (§ 18 Abs. 2 VersAusglG).
Der Reformgesetzgeber konzipierte die Vorschrift für Fallkonstellationen, bei denen die Durchführung des Versorgungsausgleichs unverhältnismäßig und aus Sicht der Parteien nicht vorteilhaft ist. Bei § 18 Abs. 1 VersAusglG ist das der Fall, wenn sich ein Hin- und Herausgleich unter dem Aspekt der Teilhabe nicht lohnte, und bei § 18 Abs. 2 VersAusglG, wenn durch die Teilung eines Kleinstanrechts und Aufnahme eines neuen Anwärters für den zuständigen Versorgungsträger ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand entstünde.
In den letzten zwei Jahren sind sich die einzelnen Oberlandesgerichte und die Vertreter der Literatur in der Frage, ob und wie § 18 VersAusglG auf gesetzliche Rentenanrechte anzuwenden ist, uneins gewesen. Einige Autoren hofften deswegen auf eine baldige Klärung der Gemengelage durch höchstrichterliche Rechtsprechung. Sie ist nun zum 30.11.2011 erfolgt. Der XII. Zivilsenat des BGHs hat in drei Verfahren über die Auslegung von § 18 VersAusglG entschieden.
Der hier besprochene Beschluss des BGHs vereint alle zu § 18 VersAusglG diskutierten Probleme. Ihm liegt folgende Konstellation zugrunde: Beide Ehegatten hatten in der Ehezeit (1.7.1997–31.10.2001) Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Der Ausgleichswert der von der Ehefrau in den alten Bundesländern erworbenen Rentenanrechte betrug 1,8131 EP (= korrespondierender Kapitalwert 9.682,43 EUR). Dagegen betrug der Ausgleichswert der vom Ehemann erworbenen West- und Ostanrechte nur 0,4281 EP (= 2.286,16 EUR) und 0,0328 EP (Ost) (= 146,74 EUR). Gegen die Entscheidungen des AG Balingen (FamG) und des OLG Stuttgart, von einem Ausgleich der Anrechte des Ehemanns nach § 18 Abs. 2 VersAusglG abzusehen, wandte sich die Ehefrau mit Erfolg.
Die erste zu klärende Frage betraf die Geringfügigkeitsgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG). Sie misst bei einem Rentenbetrag höchstens 1 %, in "allen anderen Fällen" als Kapitalwert höchstens 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. Während das OLG Stuttgart in der Vorinstanz für die Teilung von gesetzlichen Rentenanrechten den Rentenbetrag als maßgebend erachtete, stellen die überwiegende Auffassung und nun auch der BGH auf den kapitalwertbasierten Grenzbetrag ab. Die für das gesetzliche Rentenversicherungssystem maßgebliche Bezugsgröße seien Entgeltpunkte, so dass ein anderer Fall i.S.v. § 18 Abs. 3 VersAusglG vorliege und der Kapitalbetrag heranzuziehen sei. Dafür spreche auch, dass die Entscheidung für einen Grenzwert nicht unabhängig davon gesehen werden könne, unter welcher Bezugsgröße der Versorgungsträger den Ausgleichswert im Verfahren mitteile. Da der Rentenversicherungsträger neben den zu teilenden Entgeltpunkten nur Auskunft über den korrespondierenden Kapitalwert erteilen müsse (§§ 5 Abs. 3, 47 VersAusglG), nicht dagegen über den Rentenwert, sei kein Ausgleichswert vorhanden, der an dem rentenwertbasierten Grenzwert gemessen werden könne.
Die Argumentation des BGH, die sich am Wortlaut und an der Systematik des neuen Gesetzes orientiert, überzeugt. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass bei einer kapitalwertbasierten Geringfügigkeitsschwelle von 3.150 EUR (Ehezeitende 2012) und einem ab 1.7.2011 geltenden Rentenwert eine gesetzliche Monatsrente von 13,61 EUR schon nicht mehr geringfügig ist, während andere in Rentenbeträgen gemessene Anrechte (z.B. Beamtenpensionen) die Grenze erst bei 26,25 EUR überschreiten. Die Ungleichheit der Grenzwerte für Kapital- und Rentenbetrag leuchtet nicht ein und sollte de lege ferenda angepasst werden.
Da in dem zu entscheidenden Fall die Bagatellgrenze am 31.10.2001 (Ehezeitende) bei 2.748,71 EUR (120 % der monatlichen Bezugsgröße von 4.480 DM = 2.290,59 EUR) lag, waren beide Anrechte des Ehemannes geringfügig und der Anwendungsbereich von § 18 VersAusglG grundsätzlich eröffnet.
Bei der (vorrangigen) Prüfung von § 18 Abs. 1 VersAusglG war zu entscheiden, ob für die vorzunehmende Saldierung der beiderseitigen Anrechte "gleicher Art" auf Seiten des Ehemanns das West...