BGB § 1578 Abs. 1 S. 1 § 1581 S. 1 § 1609 § 1615l
Leitsatz
1. Die ehelichen Lebensverhältnisse i.S.v. § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB werden grundsätzlich durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetreten sind. Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf die Bedarfsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären oder in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren (im Anschluss an BVerfG, 25.1.2011 – 1 BvR 918/10, FamRZ 2011, 437).
2. Die Unterhaltspflichten für neue Ehegatten sowie für nachehelich geborene Kinder und den dadurch bedingten Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB sind nicht bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berücksichtigen.
3. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach § 1581 BGB ist der Halbteilungsgrundsatz zu beachten, was zu einem relativen Mangelfall führen kann, wenn dem Unterhaltspflichtigen für den eigenen Unterhalt weniger verbleibt, als der Unterhaltsberechtigte mit dem Unterhalt zur Verfügung hat. Sonstige Verpflichtungen gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten, die nicht bereits den Bedarf des Unterhaltsberechtigten beeinflusst haben, sind entsprechend ihrem Rang zu berücksichtigen (im Anschluss an das Senatsurt. v. 18.10.1989 – IIb ZR 89/88, BGHZ 109, 72 = FamRZ 1990, 260).
4. Sind ein geschiedener und ein neuer Ehegatte nach § 1609 BGB gleichrangig, ist im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eine Billigkeitsabwägung in Form einer Dreiteilung des gesamten unterhaltsrelevanten Einkommens revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das schließt eine Berücksichtigung weiterer individueller Billigkeitserwägungen nicht aus.
BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09 (OLG Bamberg, AG Aschaffenburg)
Anmerkung
Anm. d. Red.: Die Entscheidung ist abgedruckt in NJW 2012, 384 = FamRZ 2012, 281.
2 Anmerkung
Lange wurde sie erwartet, die erste Entscheidung des BGH nach der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen "Entzauberung der Drittelmethode" – jetzt ist sie da. Dass sie für die amtliche Sammlung vorgesehen ist, unterstreicht ihre Bedeutung. Was ist ihr Inhalt? Sind damit alle Streitfragen geklärt?
I. Zum Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) liegt eine wesentliche Aussage zunächst in der klar erklärten [16] Rückkehr zum früheren Stichtagsprinzip.
1. Danach werden die ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich durch die bis zur Rechtkraft der Ehescheidung eintretenden Umstände bestimmt; das sind alle Umstände, die das verfügbare Einkommen schon vor Rechtskraft der Scheidung beeinflusst haben. Auch wenn weitere Unterhaltsberechtigte bis zur Rechtskraft der Scheidung hinzukommen, ist das zu berücksichtigen [18]. Das gilt nicht nur für gemeinsame Kinder, sondern auch für Kinder des Schuldners aus neuer Beziehung, sofern sie vor Rechtskraft der Scheidung geboren werden, und zwar selbst dann, wenn sie inzwischen volljährig und deshalb gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nachrangig sind. Der Nachrang wirkt sich erst im absoluten Mangelfall im Rahmen der Leistungsfähigkeit aus [19].
Gleiches gilt für den Unterhaltsanspruch der Mutter des nichtehelichen Kindes nach § 1615l BGB, sofern das Kind vor Rechtskraft der Scheidung geboren wird; denn auch diese Unterhaltspflicht hat die ehelichen Lebensverhältnisse bereits beeinflusst und ist vorab abzuziehen [20].
2. Bedarfsprägend können sich aber auch Umstände auswirken, die erst nach Rechtskraft der Ehescheidung entstanden sind, sofern sie mit der Ehe in Zusammenhang stehen.
a) Erforderlich ist ein "gewisser Bezug" zu den ehelichen Lebensverhältnissen im Hinblick auf den Wortlaut des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB. Notwendig ist hier (alternativ), dass die späteren Entwicklungen
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entweder einen Anknüpfungspunkt in der Ehe finden, also dort "angelegt" sind, |
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oder im Falle des (gedachten) Fortbestandes der Ehe auch deren Verhältnisse geprägt hätten. |
An seiner diesbezüglichen Rechtsprechung zur Berücksichtigung der in der Ehe "angelegten" nachehelichen Veränderungen im Rahmen der Bedarfsbemessung hält der BGH ausdrücklich fest [23]. Danach bleibt es bei der Notwendigkeit, dass der spätere Umstand "angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten" war; eine absehbare Entwicklung erfasst einen (nicht vorwerfbaren) nachehelichen Einkommensrückgang ebenso wie Arbeitslosigkeit oder Renteneintritt, ebenso nacheheliche Veränderungen im Ausgabenbereich, sofern diese auch bei Fortbestand der Ehe zu erwarten waren. Bei Vorwerfbarkeit sind dagegen fiktive Einkünfte anzusetzen [24]. Eine nachehelich aufgenommene Erwerbstätigkeit des Berechtigten ist Surrogat der früheren Haushaltstätigkeit und ebenfalls bedarfsprägend; der hinreichende Ehebezug wird hier angenommen unter Hinweis auf eine zu erwartende Arbeitsaufnahme bei Älterwerden der Kinder [25].
b) Keinen Ehebezug haben dagegen nach Ansicht des BGH folgende nacheheliche Entwicklungen: