Eine kritische Betrachtung anlässlich des Beschlusses des BVerfG vom 14.7.2011 – 1 BvR 932/10
I. Einführung
"Wie war es doch vordem mit dem Kindergelde so bequem" – sicher denkt mancher mit Wehmut an die "gute alte Zeit" vor 2001 zurück, als Mindestbedarf, Mindestunterhalt, Existenzminimum, Bildungspakete, Kindergartenbeiträge, Umgangskosten usw. im Gerichtsalltag eine allenfalls geringe Rolle spielten. Seit der deutlichen Erhöhung des Kindergeldes ab 1996 gewährleisteten die unteren Sätze der Düsseldorfer Tabelle zusammen mit dem Kindergeld einen dem sächlichen Lebensbedarf entsprechenden Gesamtunterhalt. Dem Unterhaltsschuldner verblieb bei Leistung des um das halbe Kindergeld verminderten Regelbetrages ein um diesen Anteil tatsächlich erhöhtes Einkommen. Viele der heute virulenten Verteilungsfragen tauchten deshalb gar nicht erst auf. Begehrte der Schuldner die Berücksichtigung zusätzlicher Aufwendungen, verwies ihn die Rechtsprechung in der Regel auf diesen nicht offen ausgewiesenen Teil seines Einkommens.
Dies änderte sich, als der Gesetzgeber 2001 den Maßstab für die Kindergeldanrechnung in § 1612b Abs. 5 BGB anhob und die vollständige Anrechnung auf den Tabellenbetrag erst ab 135 % des Regelbetrages zuließ. Bis zur Einkommensgrenze von 2.100 EUR ergab sich daraus ein deutlich erhöhter Zahlungsanspruch. Die gegen diese Regelung wiederholt vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken hat das BVerfG als nicht durchgreifend erachtet. Zugleich attestierte es dem Gesetzgeber aber auch, er habe eine Regelung geschaffen, die dem Gebot der Normenklarheit immer weniger genüge und mit der er entgegen seinem erklärten Willen eine eigenständige Definition des Existenzminimums vorgenommen habe.
II. Die Neufassung des § 1612b BGB
Diese gerügten Schwächen hat der Gesetzgeber mit der Neufassung der Vorschrift durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz partiell beseitigt. Im Zusammenspiel mit § 1612a BGB drückt die Vorschrift jetzt verständlich aus, was der Sache nach bereits vorher galt: Es gibt für minderjährige Kinder einen Mindestbedarf in Höhe des Existenzminimums und zur Deckung dieses Bedarfs ist bei nicht zusammenlebenden Eltern die Hälfte des Kindergeldes zu verwenden. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass es sich beim Kindergeld um eine der Familie zweckgebunden für das Kind zustehende Leistung handele. Dieses werde mit der gewählten Formulierung klar zum Ausdruck gebracht. Durch den bedarfsmindernden Vorwegabzug erhöhe sich zudem die im Mangelfall zur Verteilung stehende Masse. Hingegen verschweigt das Gesetz, was mit der zweiten Hälfte passieren soll. In der Begründung heißt es hierzu nur sehr vage, diese "unterstütze" den betreuenden Elternteil bei "Erbringung der Betreuungsleistung". Die Bestimmung soll einerseits familienrechtlich bindend sein, andererseits aber den steuer- und sozialrechtlichen Grundsatz, dass es sich um eine staatliche Leistung für das Kind an die Eltern handelt, unberührt lassen.
Obwohl die Neufassung des § 1612b BGB keine grundlegend neuen Verpflichtungen begründet und die schon seit 2001 bestehende Grundstruktur in der Sache unverändert beibehält – an die Stelle der 135 %-Grenze trat lediglich der Mindestunterhalt – werden diese Ausführungen überwiegend so verstanden, dass nunmehr auch der Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten nach dem um den Zahlbetrag verminderten Einkommen zu bestimmen sei. Im Ergebnis bedeutete dies, dass sich der Ehegattenunterhalt je Kind um ca. 40 EUR erhöht, weil die zweite Hälfte des Kindergeldes nicht als Einkommen des betreuenden Elternteils gilt. Es gab hierzu zwar kritische Stimmen in Literatur und Rechtsprechung. Der BGH schloss sich hingegen der überwiegenden Meinung an, die gestützt auf die Ausführungen in der Gesetzesbegründung einen Methodenwechsel bei der Bemessung des Bedarfs befürwortete.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah sich veranlasst, im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung an der bisherigen Praxis zur Bemessung des eheangemessenen Bedarfs festzuhalten. Andernfalls sei eine gleichmäßige Entlastung beider Eltern durch das Kindergeld nicht gewährleistet. Auf die zugelassene Revision hat der BGH seine Rechtsauffassung bekräftigt und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das zweite Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf gelangte daraufhin zu einem um 46 EUR höheren Unterhaltsanspruch. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde, mit der die ungleiche Belastung der Eltern aufgrund der Kindergeldverteilung gerügt wurde.