Allein das Familienrecht beansprucht eine Sonderrolle, indem es bei minderjährigen Kindern eine Aufteilung auf beide Eltern vornimmt und in § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB eine von der übrigen Systematik abweichende Verwendung vorgibt. Bei getrennt lebenden Eltern entspricht es einer fast 40-jährigen Tradition, beiden Elternteilen das Kindergeld zu gleichen Teilen zuzurechnen. Es würde zu weit führen, im Rahmen dieses Beitrags alle Entwicklungen in ihren Details nachzuzeichnen. Der äußere Anlass für diese Praxis ergab sich aus dem Einkommensteuerreformgesetz von 1974. Die Reform beseitigte die bis dahin mögliche Mehrfachberücksichtigung von Kindern bei getrennt lebenden Eltern. Nach dem Wegfall des zuvor gewährten Kinderfreibetrages und weiterer Entlastungen war es aus Sicht des BVerfG geboten, über das Kindergeld eine Entlastung beim Unterhalt herbeizuführen, um der Gleichwertigkeit der beiderseitigen Unterhaltsleistungen gerecht zu werden. Dabei verwies das Gericht auf Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur, die sich für eine entsprechende Anwendung des § 1615g BGB (der eine hälftige Anrechnung auf den Regelbedarf nichtehelicher Kinder vorschrieb) aussprachen. Diese Rechtsprechung etablierte sich in den nächsten Jahren. Der BGH entschied alsbald, dass bei den als gleichwertig anzusehenden Leistungen ein in der Regel hälftiger Ausgleich zwischen den Empfangsberechtigten vorzunehmen sei. Diese Auffassung war zwar nicht Gesetz, setzte sich aber in ständiger Rechtsprechung durch.
Der Gesetzgeber beschäftigte sich mit der Frage der Kindergeldanrechnung erst wieder anlässlich des Kindesunterhaltsgesetzes von 1998. Inzwischen war viel geschehen. Das BVerfG hatte in mehreren Entscheidungen deutliche Korrekturen bei der Steuerfreistellung des Existenzminimums bewirkt. Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurde der bisherige Familienlastenausgleich in den im Steuerrecht verankerten Familienleistungsausgleich überführt. Für diesen spielt das Kindergeld eine zentrale Rolle. Seitdem wirken sich die Kinderfreibeträge für das sächliche Existenzminimum nicht mehr beim Lohnsteuerabzug aus; die steuerliche Entlastung erfolgt meist über das Kindergeld (§ 31 EStG). Mit der Einbindung in das Steuerrecht und dessen Vorrang vor sozialstaatlichen Erwägungen hatte das Kindergeld eine grundlegend neue Bedeutung erhalten, die inhaltlich nicht mehr mit dem früheren Recht vergleichbar war.
Im Zivilrecht trat an die Stelle des aufgehobenen § 1615g BGB der für alle Unterhaltsansprüche geltende § 1612b BGB. Es blieb bei der hälftigen Anrechnung auf den Regelbetrag. Dieser Grundsatz wurde nur durchbrochen, soweit der Schuldner außerstande war, wenigstens diesen Betrag aufzubringen. In diesen Fällen und auch nur in diesem Umfang unterblieb eine Anrechnung des Kindergeldes. Inhaltlich folgte die Vorschrift der "bewährten" Praxis der Rechtsprechung. Den Verfassern des Entwurfs waren die Probleme aus dem Wechselspiel zwischen Existenzminimum und nur begrenztem Steuerfreibetrag bewusst. Ein denkbarer Ausweg, den Regelbetrag in Höhe des Existenzminimums mit voller Anrechnung des Kindergeldes festzusetzen, wurde ebenso verworfen, wie andere Gestaltungsalternativen. Ebenso bewusst hielt der Gesetzgeber an den unterhalb des Existenzminimums liegenden Regelbeträgen fest. Ausschlaggebend dafür war die Überlegung, die Sätze so zu gestalten, dass sie für die große Mehrzahl der Verpflichteten noch tragbar blieben. Bei zu hoch bemessenen Sätzen sei vermehrt mit dem Einwand der fehlenden Leistungsfähigkeit zu rechnen, so dass sich der mit dem Regelunterhaltsverfahren angestrebte Zweck einer schnellen Titulierung nicht würde erreichen lassen.
Die nächste Gesetzesänderung folgte zum 1. Januar 2001. Sie holte nach, was wenige Jahre zuvor bewusst vermieden worden war: § 1612b Abs. 5 BGB wurde dahin geändert, dass eine Anrechnung des Kindergeldes nur noch zu erfolgen habe, soweit der Unterhalt 135 % des Regelbetrages erreichte. Die Notwendigkeit sah die Gesetzesbegründung in der vom Bundesverfassungsgericht 1998 verlangten steuerlichen Freistellung des Betreuungsbedarfs minderjähriger Kinder als Teil ihres Existenzminimums. Der Unterhaltsschuldner solle in jedem Fall das volle Barexistenzminimum leisten – was nach der Logik des Systems auch erreicht wurde. Etwa 130 % – 135 % des Regelbetrages entsprachen dem Existenzminimum und unter Berücksichtigung der traditionell hälftigen Zurechnung des Kindergeldes ergab sich ein entsprechender Wert. Mit der sehr intransparenten Gesetzesfassung wollte der Gesetzgeber unter allen Umständen eine eigenständige Definition des Existenzminimums umgehen, um Weiterungen beim Unterhaltsvorschuss zu vermeiden. Drei Jahre später erklärte das BVerfG die Vorschrift zwar für verfassungskonform, bescheinigte aber gleichzeitig dem Gesetzgeber, er habe entgegen seinem erklärten Willen "eine eigene, allerdings nicht sofort erschließbare Definition des Existenzminimums vorgenommen". Die das Kindergeld b...