Das bis zum Jahr 2000 geltende System von Regelbeträgen und hälftiger Kindergeldanrechnung war zwar nicht transparenter als seine Nachfolgeregelungen. Regelbeträge und Kindergeldanrechnung waren aber so austariert, dass sie sich im Ergebnis erstaunlich gut in das System des Sozial- und Steuerrechts einfügten. Dies änderte sich ab 2001 durch die Reform des § 1612b Abs. 5 BGB, die mit einer Nivellierung der Zahlungspflicht bis zu einer Einkommensgrenze von 2.300 EUR dieses System ins Wanken brachte, weil bei dieser Reform die vielschichtige Bedeutung des Kindergeldes für die unteren Einkommensgruppen aus dem Blick geriet. Derartige Systemeingriffe haben regelmäßig nicht intendierte Folgen – neben einer Vermehrung der Mangelfälle häufen sich zwangsläufig die Auseinandersetzungen um die Grenzen der Leistungsfähigkeit sowie erhöhte Aufwendungen speziell bei den Umgangskosten. Wer die Leistungsfähigkeit an ihre sozialrechtlichen Grenzen heranführt, muss gleichzeitig damit rechnen, dass die vorgestellten Konsequenzen durch zunächst nicht bedachte Einflüsse immer wieder infrage gestellt werden. Seit der Unterhaltsrechtsreform von 2008 führt die geänderte Rechtsprechung bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts zu einer weiteren Belastung, weil nunmehr die Kindergeldverrechnung allein auf Seiten des Unterhaltspflichtigen wie Einkommen wirkt – die Annahme des BVerfG, dass die Verwendung auf Seiten des anderen Elternteils in gleicher Weise an einen zusätzlichen monetären Kindesbedarf gebunden sei, ist möglich, entspricht vielfach aber nicht der durch die Sozialgesetze bestimmten Realität.
In seinem Beschluss vom 9.4.2003 hatte das Bundesverfassungsgericht angemahnt, auch im Leistungsrecht und seiner zivilrechtlichen Behandlung müssten
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"die Normen in ihrem Inhalt entsprechend ihrer Zwecksetzung für die Betroffenen klar und nachvollziehbar sowie in ihrer Ausgestaltung widerspruchsfrei sein".
Dieses Postulat beschränkt sich nicht auf das einzelne Gesetz. Bei Vorschriften, deren praktische Bedeutung erst aus dem Zusammenspiel mehrerer Regelungsbereiche folgt,
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"müssen die Klarheit des Norminhalts und die Voraussehbarkeit der Ergebnisse der Normanwendung gerade auch im Hinblick auf dieses Zusammenwirken gesichert sein".
Wie der erhobene Befund zeigt, fehlt es unverändert an dieser Klarheit. Auch die sprachliche Neufassung vermochte es nicht, für getrennt lebende Eltern eine Regelung zu schaffen, die das Kindergeld entsprechend den Vorgaben des zitierten Beschlusses widerspruchsfrei in das Gesamtgefüge des Steuer-, Sozial- und Familienrechts einbindet. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die notwendige Grundlagenarbeit zu leisten. Sonst endet die Geschichte wie das bekannte Gedicht: "doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her".