1. Rückblick
Die am 3. November 1982 vom BVerfG ausgesprochene Nichtigerklärung von § 1671 Abs. 4 S. 1 i.d.F. des SorgeRG, demzufolge die elterliche Sorge bei Scheidung einem Elternteil allein zuzuweisen war, kam einem Paukenschlag in der Diskussion um ein gemeinsames Sorgerecht nach Trennung und Scheidung der Eltern gleich. Die gemeinsame elterliche Sorge war plötzlich möglich, doch blieb unklar, welche Ausgestaltungen sie erfahren könne, um für die getrenntlebenden Eltern handhabbar und dem Kindeswohl förderlich zu sein. Die juristische wie psychologische Fachliteratur arbeitete – den Blick auch auf andere Rechtsordnungen gerichtet – verschiedene Sorgemodelle heraus, darunter neben dem Residenzmodell auch das sogenannte Wechselmodell, das durch einen ständigen Aufenthaltswechsel des Kindes zwischen dem mütterlichen und dem väterlichen Haushalt geprägt ist. Dem Urteil des BVerfG selbst lagen zwei Fallgestaltungen zugrunde, in denen Eltern, die nach ihrer Scheidung ein Wechselmodell bzw. Nestmodell praktizierten, die rechtliche gemeinsame Sorge begehrten; Letzteres wird teilweise als Wechselmodell im weiteren Sinne verstanden, ihm kommt jedoch kaum praktische Relevanz zu.
Obwohl das Wechselmodell inzwischen seit geraumer Zeit praktiziert wird, schon seit Langem die Gerichte beschäftigt und gar die Tagespresse auf sich aufmerksam machte, wird behauptet, das Wechselmodell sei in Deutschland erst in den vergangenen Jahren als Betreuungsalternative aufgetaucht und werde unabhängig von Gesetz und Recht praktiziert, habe doch der Gesetzgeber über das Wechselmodell gar nicht nachgedacht. Die daraus vermeintlich resultierenden planwidrigen Regelungslücken im Gesetz sollen durch Analogien geschlossen werden, die den Weg insbesondere für eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells ebnen sollen. Zieht man jedoch die Gesetzesmaterialien zum KindRG zu Rate, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus Kenntnis vom Wechselmodell hatte; so stellt er es im Rahmen der Betrachtung rechtstatsächlicher Ausgangsdaten dem Residenz- oder Eingliederungsmodell gegenüber und nimmt US-amerikanische Studien zur gemeinsamen Sorge in Bezug, die sich auch mit dem Wechselmodell beschäftigten. In den Begründungen der Vorschriften ist dann nur noch die Rede von "gemeinsamer elterlicher Sorge", die nicht konkret definiert wird, freilich aber eine gewisse Ausgestaltung durch § 1687 erfahren hat.
Eine Unkenntnis vom Wechselmodell kann dem Gesetzgeber somit schwerlich unterstellt werden. Dagegen dürfte der Einwand, der Gesetzgeber habe dieses Sorgemodell für praktisch nicht relevant gehalten, schon eher durchgreifen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der Gesetzgeber von 1998 das Wechselmodell nur nicht näher geregelt, aber zugelassen hat, oder ob er es – insbesondere durch eine etwaige Festschreibung des Residenzmodells in § 1687 – auszuschließen gedachte (dazu unter II. 2.). Das Ergebnis dieser Frage könnte Aufschluss darüber geben, ob eine gerichtliche Anordnung des Wechselmodells – sei es über § 1671 Abs. 1, sei es über § 1684 Abs. 3 – überhaupt mit der Gesetzessystematik und dem Willen des historischen Gesetzgebers in Einklang zu bringen ist (dazu unter III.).