Grundsätzlich hängt die Möglichkeit einer Übernachtung von vielen, kaum vollständig antizipierbaren Einzelfallgegebenheiten, wie den individuellen Umständen, der psychischen Gesamtverfassung des Kindes sowie der Intensität der Beziehungen und Bindungen an den Umgangsberechtigten zum Kind, ab.[66]

Empirische Befunde der Bindungsforschung zeigen generell keine negativen Auswirkungen von Umgangskontakten mit Übernachtung auf kindliche Entwicklungen.[67] Daher gehört zu einem Umgang – wenn keine besonderen Umstände dagegen sprechen[68] – auch regelmäßig eine Übernachtung, selbst dann, wenn die häuslichen Verhältnisse des Umgangsberechtigten – beengte Wohnverhältnisse, fehlendes Kinderbett, kalter Zigarettenrauch – ungünstig sein sollten.[69]

Auch bei zweijährigen, noch zu stillenden Kindern ist ein Übernachtungsumgang regelmäßig geboten, stellt das OLG Brandenburg fest.[70] Allerdings sollten Besuche über ein ganzes Wochenende mit Übernachtung bei dieser Personengruppe nicht angeordnet werden.[71]

Das OLG Nürnberg[72] vertritt den Standpunkt, dass es keinen Grundsatz gibt, wonach ein Umgang mit Übernachtung bei Kindern im Vorschulalter nicht stattfinden sollte.

Stellt sich heraus, dass das Kind durch den Umgang mit Übernachtung belastet wird, dann ist dieser zu reduzieren oder die Übernachtungen werden weggelassen.[73]

In der Kommentarliteratur wird betont, dass ein Umgang über Nacht, auch für Kinder im Vorschulalter und in den Ferien grundsätzlich die Regel sein muss.[74] Ebenso betont das BVerfG, dass die Möglichkeit eines Zusammenlebens des Kindes mit seinem umgangsberechtigten Elternteil, z.B. im Rahmen eines Urlaubs oder über Nacht wesentlich dazu beitragen kann. die gefühlsmäßige Bindung zwischen Kind und umgangsberechtigtem Elternteil aufrechtzuerhalten und zu festigen.[75]

Aus familienpsychologischer Sicht kann dazu angeführt werden, dass eine Übernachtung des Kindes normalerweise ab einem Alter von drei bis vier Jahren weitgehend problemlos sein mag,[76] aber erst dann stattfinden sollte, wenn zumindest die Übergabe konfliktfrei verläuft und das Kind zu erkennen gibt, dass es damit einverstanden ist und von dieser Kontaktart auch profitieren kann. Übernachtung als kategorischer Imperativ entrechtet das Kind und macht es zum Objekt elterlicher administrativer und familiengerichtlicher Interessenlagen.

[66] BVerfG FamRB 2007, 73, 74 m. Anm. Büte, Fk 2007, 60, 61.
[67] Bovenschen/Spangler, NZFam 2014, 900, 904.
[68] OLG München FamRB 2006, 110 = FamRZ 2005, 2010.
[69] KG FamRZ 2011, 825 m. abl. Anm. Ritter = FamRB 2011, 141 = FF 2011, 319 m. Anm. van Els = ZFE 2011, 231.
[70] OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1352, 1353; OLG Frankfurt/M. FamRZ 2002, 978.
[71] AG Holzminden FamRZ 1997, 47.
[73] Dettenborn/Walter, Familienrechtspsychologie, 2. Aufl. 2015, S. 279.
[74] Proksch, in: Münder/Meysen/Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar SGB VIII. Kinder und Jugendhilfe, 7. Aufl., Rn 31.
[76] Castellanos/Hertkorn, Psychologische Sachverständigengutachten im Familienrecht, 2014, Rn 696.

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