1. Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Artikel 2 Abs. 1 GG gewährt jedem das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dieses Grundrecht umfasst neben der allgemeinen Handlungsfreiheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), das als "unbenanntes" Freiheitsrecht die speziellen ("benannten") Freiheitsrechte, die ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen, ergänzt. Durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird der Einzelne in seiner Qualität als Subjekt geschützt. Es muss für jedes Individuum gewährleistet sein, seine Individualität selbstbestimmt zu entwickeln und zu wahren. Dies gilt in allen Lebensbereichen.
Selbstbestimmung oder Selbstverständnis bedeuten, dass jedes Individuum selbst darüber befinden darf, wer es ist. Eine Selbstbestimmung setzt oftmals als Vorstufe eine Selbstfindung voraus. Eine solche Individualitätsfindung erfordert Klarheit über Vaterschaft und eigene Abstammung. Da die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit durch die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung gefährdet werden kann, muss der Staat vor der Vorenthaltung verfügbarer Abstammungsinformationen (auch durch Privatpersonen) schützen. Die Schutzpflicht begründet allerdings keinen Anspruch auf Verschaffung von Informationen zu der leiblichen Herkunft.
2. Eingriff
Nach dem modernen Eingriffsbegriff ist "jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht", ein Eingriff. Es kommt weder auf Finalität noch Unmittelbarkeit noch auf die Anwendung von Befehl und Zwang an. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind meist faktischer Natur. Sie liegen beispielsweise in der Erhebung, Speicherung oder Weitergabe von personenbezogenen Daten. Heimliche Gentests zur Feststellung der Vaterschaft sind stets ein unzulässiger Eingriff. Aus der Schutzpflicht des Staates für das allgemeine Persönlichkeitsrecht des jeweils Betroffenen.
Auch in jeder das Recht auf Kenntnis der Abstammung beeinträchtigenden abweisenden Gerichtsentscheidung liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht desjenigen, dem auf diese Weise entsprechende Informationen vorenthalten bleiben. So sind abweisende Gerichtsentscheidungen in einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren (§ 1600d BGB) oder Verfahren zur Klärung der Abstammung (§ 1598a BGB) stets Eingriffe. Sie sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie auf verfassungskonforme Rechtsgrundlagen gestützt werden können. Gegebenenfalls kann dies vom BVerfG als "Hüter der Verfassung" zu überprüfen sein. Allerdings ist zu beachten, dass das BVerfG nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts überprüfen kann. Es ist keine "Superrevisionsinstanz". Falsche Rechtsanwendung oder eine fehlerhafte Rechtsauslegung sind nur dann Grundrechtsverletzung,
▪ |
wenn der Einfluss der Grundrechte ganz oder grundsätzlich verkannt wird, |
▪ |
die Rechtsanwendung willkürlich ist (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG) oder |
▪ |
die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten werden. |
3. Schranken
Die in Art. 2 Abs. 1 GG genannten Schranken gelten sowohl für die allgemeine Handlungsfreiheit als auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Bedeutung kommt der verfassungsmäßigen Ordnung als Schranke für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu. Darunter wird die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen, verstanden, wobei Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter Parlamentsvorbehalt stehen.
Auch im Rahmen des Privatrechts ist die Ausstrahlungswirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beachten. Der verfassungsrechtliche Schutzauftrag ist einfachgesetzlich zu erfüllen, indem bei der Ausgestaltung privater Rechtsbeziehungen der objektiv-rechtliche Gehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu beachten ist. Dem Gesetzgeber kommen jedoch bei der Ausgestaltung von Rechtsbeziehungen Privater weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu, vor allem wenn widerstreitende Grundrechte in Ausgleich zu bringen sind.