Gehen wir noch zu einigen weiteren Indikatoren. Auch in der Frage der Höhe des geschuldeten Unterhalts sehen wir die Chancen der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten sinken, trotz eines gegenläufigen Akzents durch das BVerfG.
a) Mindestbedarf und Selbstbehalt
Den Sinkflug der Unterhaltschancen nach der Scheidung zeigt uns die Entwicklung der Selbstbehalte einerseits, der von den Tabellen ausgewiesenen Mindestbedarfe der Unterhaltsempfänger andererseits an. Ich füge dem Diagramm, das die absoluten Beträge der Düsseldorfer Tabelle seit 1982 ausweist, eine Linie hinzu, welche die Entwicklung der Verbraucherpreise (nicht in absoluten Zahlen, sondern als Tendenzlinie) wiedergibt.
Unschwer ist zu erkennen, dass der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem geschiedenen Ehegatten – nach den neueren Tabellen ohne Rücksicht darauf, ob erwerbstätig oder nicht – seit 2003 steil nach oben geht, während der Mindestbedarf des nicht erwerbstätigen Berechtigten – nunmehr offen als "Existenzminimum" bezeichnet – auf einer Linie unter 800 EUR verharrt.
Wenn wir in das Diagramm das von der Tabelle ausgeworfene Existenzminimum eines erwerbstätigen Berechtigten einstellen, mindert sich die Diskrepanz; es zeigt sich aber ein interessanter Verlauf: Bis 2005 waren Selbstbehalt und Mindestbedarf Erwerbstätiger identisch, um ab 2007 auseinanderzuscheren. Dabei ist zu bedenken, dass der Selbstbehalt nach der Tabellenpraxis dem Verpflichteten beim relativen Mangelfall nicht durch eine Mangelfallberechnung ermäßigt wird, während der Mindestbedarf des Berechtigten unter dem Vorbehalt einer Mangelfallberechnung steht.
Dieses Auseinanderdriften ist offenbar eine autonome Entscheidung aus dem Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit und provoziert die Frage nach der Kompetenz inoffizieller Gremien, solche allgemeinen Regeln zu generieren. Da das Existenzminimum einer Person nicht von ihrer Rolle als Berechtigter oder Verpflichteter abhängen kann, besagt die Regel letztlich, dass dem Unterhaltspflichtigen in jedem denkbaren Fall mehr bleiben muss als das Existenzminimum. Wie ist das zu begründen, da der einschlägige § 1581 BGB doch allein auf die Billigkeit abstellt? Wäre eine solche Festlegung nicht die Sache des Gesetzgebers? Nun bekennt die Düsseldorfer Tabelle seit 2001, dass sie "keine Gesetzeskraft" habe. Doch weiß der Familienrichter, der sich von den Richtlinien seines Obergerichts löst, dass er fortgesetzt die Aufhebung seiner Entscheidungen riskiert. Wenn das Existenzminimum der Kinder gesetzlich bestimmt wird – kann dann das Existenzminimum der Erwachsenen, das im gleichen Rechenwerk eine Rolle spielt, nach den schwankenden Einschätzungen von Kommissionen fixiert werden, die vom Gesetz nicht dazu autorisiert sind?
Das Existenzminimum der nicht erwerbstätigen geschiedenen Ehefrau wie auch der nichtehelichen Mutter ist seit 2005 unverändert auf 770 EUR festgelegt, während gleichzeitig Kindesunterhalt, Studentenunterhalt und Selbstbehalt und auch die Verbraucherpreise beträchtlich steigen. Was immer die sachlichen Gründe sind – es sind rechtspolitische Entscheidungen, die nicht für einen dem Gericht vorliegenden Einzelfall, sondern von vorneherein mit dem Ziel allgemeiner Maßgeblichkeit getroffen und verkündet werden.
Entwicklung der Unterhaltsdaten nach DT 2003 – 2011
|
2003 |
2011 |
Steigerung in % |
Kindesunterhalt Existenzminimum 1. Stufe |
269 |
317 |
117,84 % |
Kindesunterhalt Existenzminimum 3. Stufe |
384 |
426 |
110,94 % |
Studentenunterhalt |
600 |
670 |
111,67 % |
Notwendiger Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern |
840 |
950 |
113,10 % |
Selbstbehalt des erwerbstätigen Verpflichteten gegenüber Geschiedenen |
840 |
1050 |
125,00 % |
Mindestbedarf des nicht erwerbstätigen unterhaltsberechtigten Ehegatten |
730 |
770 |
105,48 % |
Entwicklung der Verbraucherpreise (Stat. Bundesamt) |
96,4 |
109,2 |
113,27 % |
b) Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG vom 25.1.2011?
Was die Höhe des Unterhalts geschiedener Ehegatten betrifft, könnte man einen aufsteigenden Impuls von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.1.2011 erwarten. Die "Drittelmethode" ist verfassungsrechtlich beanstandet, die Lehre von den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" eingeschränkt. Sie dürfen zumindest im Konkurrenzverhältnis des geschiedenen zum neuen Ehegatt...