Verwirkung nach § 1611 Abs. 1 BGB kommt in Betracht, wenn der jetzt bedürftige Elternteil gegenüber dem Kind seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt hatte (Bar- oder Naturalunterhalt), die Betreuung des Kindes vernachlässigte, z.B. durch Überlassen der Betreuung allein den Großeltern und Auswanderung ohne Kind, bei völlig grundlosem Kontaktabbruch, vorwerfbarem Alkoholismus, Misshandlungen des Kindes, sexuellem Missbrauch usw. § 1611 BGB ist eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift; sie erfordert unter Abwägung aller Umstände eine schwere Verfehlung. Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden (im Anschluss an BGH FamRZ 2004, 1559). Eine Verwirkung kann dann gerechtfertigt sein, wenn der Elternteil sein Kind, das er später auf Elternunterhalt in Anspruch nimmt, schon im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen und sich in der Folgezeit nicht mehr in nennenswertem Umfang um es gekümmert hat. Dann offenbart das Unterlassen des Elternteils einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass nach Abwägung aller Umstände von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden kann. Zuletzt lag dem BGH folgender Fall des OLG Oldenburg vor: Bis zur Trennung der Eheleute hat sich der Vater im Rahmen des Familienverbundes um seinen Sohn gekümmert (bis zu diesem 18. Lebensjahr). Danach hat der Vater die Bemühungen seines bereits durch Ehekonflikte der schließlich geschiedenen Eltern erheblich belasteten Sohnes um eine Aufrechterhaltung verwandtschaftlicher Bindungen über lange Jahre zurückgewiesen und es zu einem endgültigen Bruch kommen lassen, der trotz wiederholter Wiederannäherungsbemühungen des Sohns bis zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs 27 Jahre angedauert und sich zuletzt in einer testamentarischen Verfügung des Vaters dokumentiert hat, wonach der unterhaltspflichtige Sohn lediglich den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle.
Hierzu führt der BGH aus, dass ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch regelmäßig eine Verfehlung darstellt. Sie führt indes nur ausnahmsweise bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts. Für einen weiteren Anwendungsbereich des § 1611 BGB hat sich dagegen noch das OLG Oldenburg ausgesprochen, wonach sich eine "schwere Verfehlung" i.S.d. § 1611 Abs. 1 S. 1 BGB insbesondere in einem Verhalten zeigen kann, das in seiner Gesamtschau einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung erkennen lässt und infolge dessen der Unterhaltspflichtige als Person herabgewürdigt, zurückgesetzt oder gekränkt wird. Bei der Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass selbst scheinbar nur geringfügige Kränkungen und Verletzungen im Kindes- und Jugendalter in besonderer Weise traumatisierend wirken können und dann das Kind ein Leben lang belasten. Diesem weiten Anwendungsbereich ist der BGH nicht gefolgt und hat diese Entscheidung daher aufgehoben und das Kind zur Unterhaltszahlung verpflichtet. Zur Begründung führte der BGH aus, dass der Vater bis zum Erreichen der Volljährigkeit seinen Elternpflichten genüge getan hat; das Verhalten in den 27 Jahren danach stellt keine schwere Verfehlung dar.
Nicht ausreichend sind dagegen die Behauptung einer Vernachlässigung bei der Betreuung in der Kinder- und Jugendzeit, ein fehlendes Verschulden, z.B. mangelnde Betreuung des Kindes wegen psychischer Erkrankung, oder wenn der bedürftige Elternteil wegen einer auf Kriegserlebnissen beruhenden psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, sich um das jetzt unterhaltspflichtige Kind zu kümmern.