Von dem sich aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB ergebenden Freistellungsanspruch ist der Freistellungsanspruch zu unterscheiden, den die Rechtsprechung aus Auftragsrecht herleitet. Er betrifft die Fallkonstellation, in der die noch nicht bezahlte, also noch offene gesamtschuldnerische Forderung im Verhältnis zum Gläubiger noch nicht fällig ist und im Innenverhältnis einer der Ehegatten allein eintreten muss. Dazu ein letztes Beispiel:
Eine Ehefrau schildert Ihnen ihre Lage wie folgt: Während des Zusammenlebens benötigte der Mann einen Geschäftskredit über 100.000 EUR. Dem Wunsch der Bank entsprechend hat die Frau die gesamtschuldnerische Mithaftung übernommen. Nun haben die Eheleute sich getrennt. Wie ist die Situation der Frau rechtlich zu beurteilen? Welche Überlegungen sind anzustellen?
Als Erstes ist die Frage zu prüfen, ob die Mitinhaftungnahme der Frau durch die Bank für den Kredit, der im Interesse des Mannes lag, rechtlich unbedenklich ist vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit der Inhaftungnahme finanziell krass überforderter Angehöriger. Nehmen wir an, die Frage ist zu bejahen. Dann stellt sich als Zweites die Frage, ob die Frau sich im Innenverhältnis am Abtrag der Schuld beteiligen muss. Diese Frage ist nach den eben angestellten Überlegungen, jedenfalls für die Zeit ab Rechtshängigkeit der Scheidung, zu verneinen, denn jedenfalls ab diesem Zeitpunkt hat allein der Mann den wirtschaftlichen Vorteil von dem Kredit, er allein profitiert. Nun ist das zwar eine gute Nachricht für die Frau, doch geht ihr Interesse weiter. Sie hat ein Interesse daran, aus der Haftung im Außenverhältnis herauszukommen und damit das Risiko zu beseitigen, vom Gläubiger in Anspruch genommen werden zu können. Frage daher: Gibt es einen rechtlichen Ansatz, mit dem man evtl. ihre Enthaftung im Außenverhältnis erreichen kann?
Auf dem Weg über § 426 Abs. 1 S. 1 BGB kann man dies im jetzt besprochenen Fall nicht erreichen, denn der Freistellungsanspruch nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass die fragliche Forderung im Verhältnis zum Gläubiger schon fällig ist, und das ist hier gerade nicht der Fall.
Doch hat der BGH für Fälle dieser Art vor längerer Zeit ein bis heute gültiges Modell entwickelt, das wie folgt aussieht: Die Haftungsmitübernahme der Frau beruht auf einem Auftrag i.S.d. § 662 BGB. Indem die Frau dem Wunsch des Mannes nach Übernahme der Mithaftung entsprochen hat, haben die Eheleute stillschweigend ein Auftragsverhältnis begründet. Dieses Auftragsverhältnis kann nun nicht jederzeit während intakter Ehe, wohl aber nach Scheitern der Ehe aus wichtigem Grund gekündigt werden, und in einem Freistellungsverlangen liegt eine solche Kündigung. Die Beendigung des Auftragsverhältnisses hat einen Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten zur Folge (§ 670 BGB). Hat der Beauftragte schon an den gemeinsamen Gläubiger gezahlt, bestehen die Aufwendungen in den geleisteten Zahlungen. Hat er, wie im Beispiel, noch nicht gezahlt, bestehen sie in der Übernahme der Mithaftung mit der Konsequenz, dass nun ein Anspruch auf Befreiung von der Mithaftung in Betracht kommt (§ 257 BGB).
Das ist das Modell, ein Modell, das man kennen sollte, das aber einer wichtigen Einschränkung unterliegt: Der Beauftragte, im Beispiel die Frau, hat den Anspruch auf Befreiung von der Verbindlichkeit nach der Rechtsprechung des BGH dann nicht, wenn die Befreiung dem Auftraggeber, hier dem Mann, nach einer Interessenabwägung nicht zumutbar ist. Es hat also, jedenfalls wenn der Mann sich auf Unzumutbarkeit beruft, eine Zumutbarkeitsprüfung stattzufinden. Das beruht darauf, dass Eheleute gemäß § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf die Interessen des anderen Rücksicht nehmen müssen. Es findet also eine Interessenabwägung statt. Das Interesse der Frau geht dahin, aus der Haftung herauszukommen und ihre Kreditwürdigkeit zu verbessern, das des Mannes dahin, nicht wirtschaftlich in Bedrängnis zu geraten. Würde der Mann wirtschaftlich in den Ruin getrieben, wird das einer Befreiungsverpflichtung im Zweifel entgegenstehen.
Nun werden Sie sagen, in vielen Fällen kann der Mann die Befreiung wirtschaftlich nicht leisten, so dass der Befreiungsanspruch nicht hilft. Das ist zwar richtig. Nur dürfen Sie in einer solchen Situation den Fall nicht als erledigt betrachten. Das Ergebnis Ihrer Prüfung ist dann nur: Der Befreiungsanspruch besteht gegenwärtig nicht oder er ist gegenwärtig nicht durchsetzbar. Sie müssen in solchen Fällen dem Befreiungsgläubiger, hier der Frau, mit auf den Weg geben: Im Moment besteht kein Anspruch oder er lässt sich nicht realisieren. Sollte allerdings der Mann in Zukunft wieder zu Geld kommen bzw. in der Lage sein, eine andere Sicherheit zu stellen, so muss man sich die Situation neu ansehen.
Abschließend noch ein paar Sätze zu der Frage: Wie sieht denn der Befreiungsanspruch oder Freistellungsanspruch – beides meint dasselbe – konkret aus? Und wie setzt man ihn durch?
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