Einführung

Das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher ist in seinen wesentlichen Teilen am 1.11.2015 in Kraft getreten.[1] Es verfolgt das Ziel, diese besonders schutzwürdige Personengruppe, die an bestimmten Einreiseknotenpunkten die Bundesrepublik Deutschland betritt, gerecht[2] auf die einzelnen Bundesländer auf der Grundlage des sog. Königsteiner Schlüssels[3] zu verteilen, damit "sie – sic: die Minderjährigen – ihrem Wohl und ihren spezifischen Interessen entsprechend untergebracht, versorgt und betreut werden. Zugleich sollen die mit der Aufnahme und Betreuung unbegleitet nach Deutschland einreisender Minderjähriger verbundenen Belastungen der Kommunen gerechter verteilt werden."[4]

[1] Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015, BGBl I 2015,1802.
[2] Kepert, ZKJ 2016, 12; Katzenstein/González Méndez de Vigo/Meysen, JAmt 2015, 530, 536.
[3] Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn 75. Vgl. § 42c Abs. 1 S. 2 SGB VIII.
[4] Veit, FamRZ 2016, 93, 94.

I. Die vorläufige Inobhutnahme von minderjährigen ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise

Nach § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind und einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personen- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Für die Inobhutnahme eines Kindes oder eines Jugendlichen ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält, § 87 SGB VIII.

1. Feststellung der Minderjährigkeit

Diese zuvor genannte Personengruppe muss aber noch minderjährig sein, damit eine Umverteilung auf alle Bundesländer, für die ein zweistufiges[5] Verfahren der Inobhutnahme eingeführt wird,[6] in Betracht kommt. Die Frage, wann eine Person als minderjährig gilt, beurteilt sich nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB nach dem Heimatrecht des Betroffenen.

Das Alter des Flüchtlings kann zunächst anhand seiner Ausweispapiere festgestellt werden, § 42f Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Liegen keine Ausweispapiere vor, ist zunächst die Selbstauskunft maßgebend.[7] Der Betroffene "muss hierbei in sich stimmige und widerspruchsfreie Angaben zu seiner Minderjährigkeit machen und bestehende Widerspruchmöglichkeiten in seinen Erklärungen und Handlungen nachvollziehbar und plausibel erklären."[8] Reichen die Angaben des Betroffenen für eine sichere Überzeugungsbildung nicht aus, ist das Alter mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen, § 42f Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Die Alterseinschätzung ist vor der vorläufigen Inobhutnahme durchzuführen.[9] Denn das Jugendamt ist verpflichtet, den Sachverhalt nach § 20 SGB X von Amts wegen aufzuklären. Das Jugendamt hat sich daher "grundsätzlich unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen sowie nach den Umständen veranlassten Aufklärungsmöglichkeiten weitest mögliche Gewissheit über das tatsächliche Alter des Betroffenen zu verschaffen."[10] Bleiben trotz dieser Reihenfolge[11] immer noch Zweifel, hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung zu veranlassen, § 42a Abs. 2 S. 1 SGB VIII. Nur wenn es sich dennoch keine hinreichende Gewissheit über das tatsächliche Alter verschaffen kann, ist zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen[12] und die vorläufige Inobhutnahme durchzuführen.[13] Allerdings trifft auch den Betroffenen seinerseits eine Mitwirkungsverpflichtung, § 27 Abs. 1 FamFG. Hierzu gehört, sich ärztlich untersuchen zu lassen,[14] § 42f Abs. 2 S. 1 SGB VIII.

[5] Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn 74.
[6] Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn 74.
[7] OVG Bremen JAmt 2016, 42, 43.
[8] OVG Bremen JAmt 2016, 42, 45; OLG Karlsruhe FamRB 2016, 55 = NJW 2016, 87 = ZKJ 2015, 471 = NzFam 2015, 1028 = FamRZ 2015, 2182.
[9] OVG Bremen JAmt 2016, 42, 43.
[10] Kemper, NzFam 2015, 1028 in der Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe, NzFam 2015, 1082 = FamRZ 2015, 2182 = ZKJ 2015, 471 = NJW 2016, 87 = FamRB 2016, 55.
[11] Veit, FamRZ 2016, 93, 96.
[12] BGH JAmt 2015, 395, 396.
[13] OVG Bremen JAmt 2016, 42, 43.
[14] Kemper, NzFam 2015, 1028; Katzenstein/González Méndez de Vigo/Meysen, JAmt 2015, 530, 533 f.; Veit, FamRZ 2016, 93, 96 f.

2. Die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII

Nach § 42a Abs. 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Diese vorläufige Inobhutnahme ist der eigentlichen endgültigen Inobhutnahme vorgeschaltet.[15] In der Phase der vorläufigen Inobhutnahme soll ein familiengerichtliches Verfahren zur Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge und zur Anordnung der Vormundschaft und Bestellung eines Vormunds noch nicht erfolgen.[16] Die Bestellung eines...

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