Ein wichtiges Merkmal bei der Vollstreckung französischen Rechts
Einführung
In Frankreich ist es möglich, dass der Richter vorübergehende Maßnahmen ("mesures provisioires") ergreift, um den Unterhalt eines Ehepartners abzusichern ab dem sog. Nichtversöhnungsbeschluss ("ordonnance de non-conciliation") bis zu dem Zeitpunkt, in dem kein Scheidungsverfahren eingeleitet wird. Diese Zeitspanne kann nach Art. 1113 Abs. 2 NCPC (Nouveau Code de procédure civile) bis zu 30 Monate umfassen.
Kommt es zur Vollstreckung eines französischen Urteils, das einem in Frankreich lebenden Ehepartner Zahlungen zuspricht gegen den anderen, der in Deutschland lebt, so kommt Art. 1113 Abs. 2 NCPC zur Anwendung, der einige Probleme bereiten kann.
I. Inhalt und Übersetzung des Art. 1113 Abs. 2 NCPC
Art. 1113 Abs. 2 NCPC lautet wie folgt:
Zitat
"En cas de réconciliation des époux ou si l'instance n'a pas été introduite dans les trente mois du prononcé de l'ordonnance, toutes ses dispositions sont caduques, y compris l'autorisation d'introduire l'instance."
Eine adäquate Übersetzung lautet wie folgt:
Zitat
"Im Fall der Versöhnung der Eheleute oder für den Fall, dass innerhalb von dreißig Monaten nach Verkündung des Beschlusses das Verfahren nicht eingeleitet worden ist, sind alle seine Bestimmungen hinfällig, wozu auch die Erlaubnis, das Verfahren einzuleiten, gehört."
Mit Dekret Nr. 2004-1158 vom 29. Oktober, Art. 7-V, wurde der bisherige Wortlaut geändert. Die Änderung, die insbesondere eine Erhöhung der Frist von sechs auf dreißig Monate beinhaltete, trat zum 1.1.2005 in Kraft. Mit "ordonnance" ist der Nichtversöhnungsbeschluss gemeint, mit "instance" das Scheidungsverfahren. Das Possessivpronomen "ses" in "toutes ses dispositions" bezieht sich auf "ordonnance" (Nichtversöhnungsbeschluss).
Sehr problematisch ist das Merkmal "caduque". Es bedeutet keineswegs "nichtig", sondern "hinfällig"; ein Terminus, den das deutsche Recht ebenfalls kennt. Der Begriff der "caducité" bezieht sich nach französischer h.M. lediglich auf die "mesures provisoires", also die vorübergehend bzw. zeitweise angeordneten Maßnahmen. Dagegen tastet die "caducité", solange das Verfahren noch nicht verfristet ("instance périmée") ist, nicht an:
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die "ordonnance de non-reconciliation elle-même", d.h. den Nichtversöhnungsbeschluss sowie |
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die "autorisation d'assigner qu'elle comporte", d.h. die Erlaubnis zur gerichtlichen Vorladung, die der Beschluss (ordonnance) einschließt. |
II. Die "caducité" (Hinfälligkeit) nach französischem Recht
Zu Rechtsnatur und Voraussetzungen sowie zu den Rechtsfolgen der "caducité" gibt es französische Rechtsprechung und dogmatische Arbeiten, auf die es hier allein ankommt.
1. Rechtsnatur
Ganz allgemein definiert ist "caducité" ein Mechanismus, der eine wirksame Handlung aufgrund des Fehlens einer notwendigen Voraussetzung beseitigt. Die "Hinfälligkeit" zieht einen vorzeitigen Verfahrensverlust nach sich, wenn sie nicht irgendeinen beliebigen Teil des Verfahrens (wie etwa die Bestimmung eines Sachverständigen nach Art. 271 NCPC) betrifft, sondern dessen Entstehungsakt. Art. 406 und 407 NCPC sind dem allgemeinen Rahmen der "caducité" gewidmet.
Die "caducité" ist nach Rspr. und Lehre weder Einwendung ("exception de procédure") noch Zulässigkeitsvoraussetzung ("fin de non-recevoir"). Hingegen stellt sie eine gesetzlich angeordnete Sanktion ("sanction légale") dar, die den alleinigen Zweck hat, die vorübergehenden Maßnahmen ("mesures provisoires") für die Zukunft zu unterbinden.
Der Pariser Gerichtshof (Cour d'appel de Paris) hat in einer Entscheidung vom 11.7.1985 bereits die "caducité" als Sanktion qualifiziert, die lediglich die vorübergehenden Maßnahmen betrifft, welche der Familienrichter angeordnet hat. Die "caducité" ist im Ergebnis eine Maßnahme, die sich als Sanktion gegen die Nachlässigkeit der Eheleute auffassen lässt und die auch der Behelfsmäßigkeit bzw. der provisorischen Natur ("caractère provisoire") dieser Maßnahmen geschuldet ist. Daher sind diese Maßnahmen auch nicht für unbestimmte Zeit bzw. für ewig bestimmt, da sie die Eheleute zunächst zwar dazu bewegen sollen, ihre faktische Trennung voneinander ...