Einführung
Derzeit steht der Sachverständige vermehrt in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, so bei psychiatrischen Gutachten wie im Fall Mollath, aber häufig auch bei familienpsychologischen Entscheidungen. Es wird dabei von Gutachtern, "die die Familie zerstören", "von unqualifizierten Gutachtern, die die Szene bestimmen", und von Sachverständigen, welche in enger Allianz mit dem Richter stünden, berichtet. Die Richter übernähmen ungeprüft dessen in der Regel von ihnen auch gewünschte Empfehlung. Die "Macht des Sachverständigen" sei kaum noch zu kontrollieren.
Auch wenn sich die Ausführungen in der Presse und mehr noch in einschlägigen Internetforen von Betroffenen häufig durch hohe Parteilichkeit und ausgeprägte Skandalisierungstendenzen auszeichnen, sind dennoch nicht alle Kritikpunkte von der Hand zu weisen. Einige liegen im Sachverständigen, viele andere Konflikte aber sind im System und im familiären Konflikt begründet. Möglichkeiten der Veränderung werden nicht genügend genutzt. Zur Umsetzung sind aber nicht nur die Sachverständigen gefordert, auch die anderen Verfahrensbeteiligten und hierbei besonders die Anwälte müssten dazu vermehrt in die Pflicht genommen werden.
Die folgenden Ausführungen aus der Sicht eines praktizierenden Sachverständigen sollen die Rolle und Funktionen des Sachverständigen etwas differenzierter erläutern und zugleich als Beiträge zur Schaffung vermehrter Transparenz und Nachvollziehbarkeit verstanden werden.
In einer Reihe von Beiträgen soll auf die Tätigkeit des Sachverständigen eingegangen, wesentliche Bereiche der Begutachtung sowie Fragen und Klippen dazu dargestellt werden. Hierzu gehören die Fragestellung des Gerichts, lösungsorientierte Begutachtung, Wissenschaftlichkeit, das schriftliche Gutachten, die mündliche Verhandlung, die psychologischen Kriterien, Besonderheiten bei Kindeswohlgefährdung u.a. Im ersten Teil sollen das familiengerichtliche Verfahren in seiner Besonderheit und die Auswahl und Qualifikation des Sachverständigen behandelt werden.
I. Ausgangslage
Sachverständige werden nicht nur im familiengerichtlichen Bereich herangezogen, sondern in allen Rechtsgebieten beauftragt, bei denen es auf besondere Sachkunde ankommt.
Nach älteren Schätzungen werden bei ca. 5–8 Prozent der Konflikte um Kinder, die vor Familiengerichten behandelt werden, psychologische Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Zumeist werden Sachverständige zur Regelung des Kontaktes des Kindes zum getrenntlebenden Elternteil, zur Regelung des Aufenthalts des Kindes oder zur Aufteilung der elterlichen Verantwortung durch die Gerichte beauftragt, oder zur Abklärung von Kindeswohlgefährdung, wo entweder über eine Herausnahme des Kindes aus der Familie entschieden werden muss oder über eine Rückführung zur Herkunftsfamilie. Daneben können auch weitere Fragestellungen, so zum Beispiel zum Umgang von weiteren Bezugspersonen, in Auftrag gegeben werden.
Viele Fragen zum Kindeswohl, die das Familienrecht zu regeln hat, bedürfen des psychologischen Fachwissens. Da Juristen, also Richtern wie Anwälten, das psychologische Wissen fehlt, wird bei Fragen des Kindeswohls, die ein Amtsverfahren bedingen – bei dem also das Gericht selbst Ermittlungen anstellen muss – auf externen Sachverstand zurückgegriffen. Wie bei allen sachverständigen Äußerungen kann es durchaus verschiedene fachliche Ausrichtungen und unterschiedliche fachliche Bewertungen geben; dies ist kein Spezifikum familienpsychologischer Probleme. Während man allerdings bei technischen Fragen eher geneigt ist, fremden Sachverstand anzuerkennen, fühlen sich die meisten Beteiligten bei Fragen von Beziehung oder Trennung und vor allem bei der Erziehung der Kinder selbst kompetent, da in diesen Bereichen Alltags- und meist Erfahrungswissen vorliegt. Daher liegt es auch näher, Kritik am familienpsychologischen Sachverständigen zu üben, falls dieser eine andere Einschätzung äußert, als man sie sich selbst gebildet hat.
Der familiäre Konflikt und die persönliche Betroffenheit bedingt meist, sich Verbündete zu suchen und Solidarität gegen den anderen Partner einzufordern, die Schuldzuweisung für die Konfliktursache ist meist einseitig. Auch in der Presse oder in Internetforen wird ausschließlich einseitig berichtet, ohne der anderen Seite Gehör geschenkt zu haben. Der Sachverständige befindet sich somit häufig in der Mitte eines heftigen emotionalen Konfliktes, der große fachliche Herausforderungen bedingt und gelegentlich sieht sich der Sachverständige Kritik gegenüber, die seine Neutralität durchaus belasten kann.
II. Unterschied zu anderen forensischen Gebieten
Familienpsychologische Begutachtung unterscheide...