a) Wenn man die vorliegende Entscheidung in die Systematik des § 1611 BGB, der maßgeblichen Bestimmung zur Beschränkung oder zum Wegfall der Unterhaltsverpflichtung innerhalb des Verwandtenunterhaltsrechts, einordnen möchte, so ist zunächst einmal festzuhalten, dass ein Unterhaltsanspruch kein Wohlverhalten des Unterhaltsberechtigten voraussetzt. Dessen fehlende Bereitschaft, mit dem Unterhaltspflichtigen den persönlichen Kontakt zu pflegen, zieht regelmäßig noch keine unterhaltsrechtlichen Konsequenzen nach sich. Dabei bleibt es auch dann, wenn die Kontaktverweigerung mit Taktlosigkeiten, unhöflichen Äußerungen oder unangemessenem bzw. ablehnendem Verhalten wie beispielsweise dem Nichtgrüßen der Großeltern oder dem Siezen des pflichtigen Elternteils durch das unterhaltsberechtigte, volljährige Kind einhergeht. Das erscheint zwar grundsätzlich schon deshalb richtig, weil Kontaktabbrüche im Eltern-Kind-Verhältnis – wie auch im vorliegenden Fall – regelmäßig auf ein Trennungsgeschehen im Verhältnis der Eltern untereinander zurückzuführen sein werden und es vielfach schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, das in Rede stehende Verhalten einem Beteiligten anzulasten. Andererseits lässt sich das aber auch durchaus kritisch hinterfragen, weil hinter einer verfestigten, bisweilen über Jahre anhaltenden "Funkstille" oft schwere familiäre Konflikte stehen.
Im Allgemeinen entstehen Gefahren für den Bestand des Unterhaltsanspruchs jedoch dann, wenn die Kontaktverweigerung mit besonders beleidigenden, verletzenden oder kränkenden Verhaltensweisen des Unterhaltsberechtigten einhergeht, so dass insgesamt, nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Verstoß gegen die aus dem Verwandtschaftsverhältnis resultierenden Obliegenheiten – die familiäre Gesinnung – so schwer wiegt, dass dem Pflichtigen nicht mehr zugemutet werden kann, Unterhalt zu zahlen. Bejaht wurde dies beispielsweise in einem Fall, in dem das volljährige Kind nach 9-jährigem Kontaktabbruch die unterhaltspflichtige Mutter tief kränkte ("… ich bedauere, dass Sie meine Mutter sind …") und sich weigerte, die von deren Dienstherrn für den Ortszuschlag geforderte Schulbescheinigung vorzulegen oder wenn die volljährige, studierende Tochter den Wunsch des lebensbedrohlich erkrankten Vaters, sie noch einmal zu sehen, zurückweist.
b) Im Bereich des Elternunterhalts tendierte die – soweit ersichtlich: überwiegende – Rechtsprechung indessen bislang zu eher milderen Maßstäben: Wenn der Kontakt zwischen dem im Alter unterhaltsbedürftig gewordenen Elternteil und dem nunmehr pflichtigen Kind über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg abgebrochen war, wird ein daraus resultierendes vollständiges Zerwürfnis der Familienmitglieder in der forensischen Praxis nicht selten als eine vorsätzliche schwere Verfehlung qualifiziert, die auch ohne Hinzutreten weiterer Gesichtspunkte geeignet sein kann, eine Unterhaltsverwirkung zu rechtfertigen. So hat beispielsweise das OLG Celle entschieden, dass eine Herabsetzung des geschuldeten Elternunterhalts um 25 % auf einen der Billigkeit entsprechenden Betrag gerechtfertigt sei, wenn zwischen dem in Anspruch genommenen Sohn und dessen Mutter seit seinem Auszug aus dem elterlichen Haushalt mit Beginn einer Ausbildung zum Schlosser im Jahr 1960 nahezu kein persönlicher Kontakt mehr bestand. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei, so die Celler Richter, im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung auch zu berücksichtigen, ob der Elternteil Anteil am Leben des Kindes und seiner Entwicklung nehme, diesem bei auftretenden Problemen und Schwierigkeiten zur Seite stehe – die Ehefrau des Sohnes erkrankte schwer und verstarb – und ihm die Gewissheit vermittele, ein ihm in Liebe und Zuneigung verbundener Elternteil sei für ihn da. Ob die Ausführungen des Bundesgerichtshofs auch auf die Zeit nach der Volljährigkeit zu übertragen seien und hiervon nach dem Auszug des Beklagten aus dem elterlichen Haushalt auszugehen sei, bedürfe im Hinblick auf einen mehrere Jahrzehnte fehlenden persönlichen Kontakt keiner Entscheidung. Auch das AG Helmstedt bejahte eine vollständige Unterhaltsverwirkung in einem Fall, in dem der im Alter pflegebedürftig gewordene Vater für mehr als 32 Jahre, seit der Scheidung der Eltern, jeglichen Kontakt zu dem unterhaltspflichtigen Sohn abgelehnt hatte; u.a. auch während eines viermonatigen Krankenhausaufenthalts des Sohnes.
c) Nach der nun vorliegenden Karlsruher Entscheidung wird man an dieser Rechtsprechung jedenfalls in Fällen, in denen der Kontaktabbruch erst nach Kindheit und Jugend erfolgt, nicht mehr uneingeschränkt festhalten können: Im zweiten Leitsatz der Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zwar klargestellt, dass ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch regelmäßig eine Verfehlung darstellt. Aber ein solches Fehlverhalten sei nur ausnahmsweise als eine so schwere Verfehlung anzusehen, die eine Unterhaltsverwirkung nach sich z...