Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.2.2014 – XII ZB 607/12
1. Der Sachverhalt
Die Fakten des von den Bundesrichtern zu beurteilenden Falles, dem in den allgemeinen Medien große Aufmerksamkeit zuteil wurde, sind rasch berichtet; es handelt sich um eine womöglich gar nicht so seltene Familientragödie:
Nach Trennung und Scheidung der Eltern im Jahr 1971 blieb der damals etwa 18 Jahre alte Antragsgegner, das einzige Kind, im Haushalt der Mutter. Mit dem Abitur des Sohnes 1972 brach der anfangs noch lose Kontakt zum Vater endgültig ab. Wiederannäherungsversuche des Sohnes, der nach dem Abitur eine Berufsausbildung begann, wies der Vater zurück und bestimmte in einem von ihm 1998 errichteten notariellen Testament, der Sohn solle nur "den strengsten Pflichtteil" erhalten. Im Jahr 2008 zog der Vater, der im Alter von einer kleinen Rente, Erträgen aus einer Lebensversicherung und Leistungen der Grundsicherung im Alter nach §§ 41 ff. SGB XII lebte, in eine Heimeinrichtung, in der er im Februar 2012 verstarb. Gegen die Forderung des Sozialleistungsträgers, der aus übergegangenem Recht vom Sohn die Zahlung von Heimpflegekosten in Höhe von etwa 9.000 EUR verlangte, berief sich dieser auf die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs aufgrund des dem Vater anzulastenden, 40 Jahre lang währenden Kontaktabbruchs.
Anders als das Oberlandesgericht, das den Zahlungsantrag der Kommune mit dieser Begründung zurückwies, entschied der Bundesgerichtshof, dass ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch zum Kind zwar regelmäßig eine Verfehlung darstelle, weil der betreffende Elternteil damit gegen die ihn treffende Pflicht zu Beistand und Rücksicht verstoße, die ihm auch gegenüber einem volljährigen Kind obliege. Aber im Verhältnis zu einem volljährigen Kind handele es sich bei diesem Verhalten nicht um eine schwere Verfehlung, die eine Verwirkung des Elternunterhalts nach sich ziehe; dazu komme es vielmehr nur ausnahmsweise bei Vorliegen weiterer Umstände: Der Elternunterhaltsanspruch habe daher Bestand.
2. Unterhaltsverwirkung wegen Kontaktverweigerung – zur Dogmatik des § 1611 Abs. 1 Satz 1, 3. Alt. BGB
a) Wenn man die vorliegende Entscheidung in die Systematik des § 1611 BGB, der maßgeblichen Bestimmung zur Beschränkung oder zum Wegfall der Unterhaltsverpflichtung innerhalb des Verwandtenunterhaltsrechts, einordnen möchte, so ist zunächst einmal festzuhalten, dass ein Unterhaltsanspruch kein Wohlverhalten des Unterhaltsberechtigten voraussetzt. Dessen fehlende Bereitschaft, mit dem Unterhaltspflichtigen den persönlichen Kontakt zu pflegen, zieht regelmäßig noch keine unterhaltsrechtlichen Konsequenzen nach sich. Dabei bleibt es auch dann, wenn die Kontaktverweigerung mit Taktlosigkeiten, unhöflichen Äußerungen oder unangemessenem bzw. ablehnendem Verhalten wie beispielsweise dem Nichtgrüßen der Großeltern oder dem Siezen des pflichtigen Elternteils durch das unterhaltsberechtigte, volljährige Kind einhergeht. Das erscheint zwar grundsätzlich schon deshalb richtig, weil Kontaktabbrüche im Eltern-Kind-Verhältnis – wie auch im vorliegenden Fall – regelmäßig auf ein Trennungsgeschehen im Verhältnis der Eltern untereinander zurückzuführen sein werden und es vielfach schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, das in Rede stehende Verhalten einem Beteiligten anzulasten. Andererseits lässt sich das aber auch durchaus kritisch hinterfragen, weil hinter einer verfestigten, bisweilen über Jahre anhaltenden "Funkstille" oft schwere familiäre Konflikte stehen.
Im Allgemeinen entstehen Gefahren für den Bestand des Unterhaltsanspruchs jedoch dann, wenn die Kontaktverweigerung mit besonders beleidigenden, verletzenden oder kränkenden Verhaltensweisen des Unterhaltsberechtigten einhergeht, so dass insgesamt, nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Verstoß gegen die aus dem Verwandtschaftsverhältnis resultierenden Obliegenheiten – die familiäre Gesinnung – so schwer wiegt, dass dem Pflichtigen nicht mehr zugemutet werden kann, Unterhalt zu zahlen. Bejaht wurde dies beispielsweise in einem Fall, in dem das volljährige Kind nach 9-jährigem Kontaktabbruch die unterhaltspflichtige Mutter tief kränkte ("… ich bedauere, dass Sie meine Mutter sind …") und sich weigerte, die von deren Dienstherrn für den Ortszuschlag geforderte Schulbescheinigung vorzulegen oder wenn die volljährige, studierende Tochter den Wunsch des lebensbedrohlich erkrankten Vaters, sie noch einmal zu se...