Interview mit Reinhardt Wever, Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen
Reinhardt Wever
FF/Schnitzler: Sie sind seit Jahren Vorsitzender Richter eines Familiensenats des OLG Bremen und gleichzeitig Vizepräsident. Wie viele Richter und Richterinnen sind derzeit in Bremen und Bremerhaven eingesetzt?
Wever: Zurzeit arbeiten in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit in Bremen insgesamt 162 Richterinnen und Richter. Der Frauenanteil beträgt exakt 50 %. Die Quote der Teilzeitbeschäftigten ist bei den Richterinnen deutlich höher als bei den männlichen Kollegen, aber auch unter ihnen gibt es Teilzeitbeschäftigte. In Familiensachen sind bei den drei Amtsgerichten in Bremen, Bremen-Blumenthal und Bremerhaven insgesamt 11 Richterinnen und 9 Richter tätig. Beim OLG sind in den beiden Familiensenaten eine Kollegin und, mit mir, 5 Kollegen mit Familiensachen befasst.
FF/Schnitzler: Die Reform des Verfahrensrechts, die seit 1.9.2009 in Kraft ist, hat das große Familiengericht gebracht. Haben Sie in Ihrem Bezirk für die Amtsgerichte und das Oberlandesgericht eine Verstärkung erfahren, zumal zahlreiche Verfahren ja vom Landgericht an die Amtsgerichte und an das Oberlandesgericht abgegeben worden sind?
Wever: Eine Personalverschiebung vom Landgericht Bremen zu den Amtsgerichten, die im Hinblick auf die Zuständigkeitsverlagerung der sonstigen Familiensachen von den Zivilprozessgerichten (meist: Landgericht, Zivilkammern) auf die Familiengerichte in gewissem Umfang angezeigt gewesen wäre, hat es nicht gegeben. Die Amtsgerichte haben auf den zusätzlichen Personalbedarf der Familiengerichte mit einer gewissen Personalverlagerung im jeweiligen Hause, also zulasten der in anderen Bereichen arbeitenden Kollegen, reagiert, sich also sozusagen aus den eigenen Ressourcen beholfen. Die auf die Familienrichter zugekommene Mehrbelastung ist dadurch aber nicht vollständig ausgeglichen worden. Beim Oberlandesgericht hat sich das Problem nicht in gleicher Weise gestellt, weil das OLG ja für diese Streitigkeiten als Berufungsgericht auch zuständig war, als sie in erster Instanz noch beim Landgericht anfielen. In Bremen ist zudem durch miteinander verbundene Turnuskreise sichergestellt, dass die Belastung der Familien- und der Zivilsenate sich unabhängig von der Zahl der jeweiligen Eingänge auf gleichem Niveau bewegt. Dass der Belastungsdruck der Familiengerichte, und zwar in beiden Instanzen, durch die Übernahme der sonstigen Familiensachen gestiegen ist, ergibt sich im Übrigen aber auch daraus, dass nach der pensenmäßigen Bewertung gemäß pebb§y nun für die Bearbeitung dieser Verfahren deutlich weniger Arbeitszeit zugestanden wird, als es zuvor bei der Behandlung als allgemeine Zivilsachen der Fall war.
FF/Schnitzler: Sind Sie mit der Reform in diesem Bereich zufrieden oder ist das Gesetz nicht klar genug, was die Abgrenzung zu anderen Verfahren anbelangt?
Wever: Zunächst einmal ist klar: Auch wenn nicht alle Familienrichterinnen und -richter von der Idee begeistert waren – sie hatten teilweise Vorbehalte gegenüber der für sie fremden und als schwierig geltenden Materie der sonstigen Familiensachen, vor allem aber haben sie, und das ja nicht zu Unrecht, befürchtet, nicht angemessen entlastet zu werden –, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass die Reform, und insbesondere die mit ihr verbundene Verlagerung der vermögensrechtlichen Streitigkeiten der Ehegatten außerhalb des Güterrechts auf die Familiengerichte, dringend geboten war. Die gesamte Auseinandersetzung nach Scheitern der Ehe einschließlich etwa des Gesamtschuldnerausgleichs, des Streits um Konten, um in der Ehe gemachte Zuwendungen usw. ist nun in einer Hand. Es wird nicht mehr ein und derselbe Streitstoff von verschiedenen Gerichten behandelt und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen hat sich erheblich reduziert.
Was die konkrete Ausgestaltung der jetzigen Zuständigkeitsregelung anbetrifft, so hätte ich mir mehr Klarheit gewünscht. Die Hoffnung, wohl auch des Gesetzgebers, die Zeit der Zuständigkeitskontroversen werde mit der Reform vorbei sein, hat getrogen. Die Definition der "sonstigen Familiensachen" in § 266 FamFG, die nun in die Zuständigkeit der Familiengerichte fallen, hat neue Abgrenzungsfragen aufgeworfen. Dies gilt namentlich für das in Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift aufgestellte Erfordernis, dass der geltend gemachte Anspruch "im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung … der Ehe" stehen muss. Über den danach unzweifelhaft nötigen sachlichen Zusammenhang in dem Sinne, dass das Verfahren der Entflechtung der vermögensrechtlichen Beziehungen als Folge von Trennung bzw. Scheidung dienen muss, lässt sich in manchen Fällen streiten. Steht z.B. das Räumungsverlangen des Ehemannes, nachdem bei Scheidung gemäß § 1568a Abs. 5 BGB ein Mietverhältnis an der ihm gehörenden Ehewohnung begründet worden ist und die in der Wohnung verbliebene Frau die festgesetzte Miete nicht gezahlt hat, noch in sachlichem Zusammenhang mit der Scheidung? Auch die Frage, ob neben dem sa...