I. Anlass zum Nachdenken: Ein Fall aus der Praxis
Wer das geltende Güterrecht in Zweifel ziehen will, muss mit Verständnislosigkeit und Abwehr rechnen. Die familienrechtliche community hat sich mit dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und seiner Abwählbarkeit kraft "privatautonomer" Entscheidung der Ehegatten halbwegs rechtssicher eingerichtet. Wer ernsthaft de lege ferenda die Einführung einer modernen Errungenschaftsgemeinschaft oder eine Revision der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Gütertrennung fordert, braucht einen langen Atem und ein starkes Motiv. Unmittelbarer Anlass für die folgenden Überlegungen war die Empörung einer sehr hartnäckigen und unbelehrbaren Mandantin: Wütend unterbrach sie die skeptischen Überlegungen ihrer Rechtsberater, ob es gelingen könne, dem Gericht im Verfahren über die Scheidungsfolgen einen Ausgleich "ehebedingter Nachteile" im Wege der Konstruktion einer "fiktiven Erwerbsbiografie" auf der Grundlage ihres akademischen Abschlusses als Diplomkauffrau abzuringen. "Ich will keinen Ausgleich ehebedingter Nachteile, ich verdiene eine angemessene Anerkennung meiner Lebensleistung", so brachte sie ihre Vorstellungen auf den Punkt. Die Lebensleistung ihres geschiedenen Ehemannes ist in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft unbestritten und wird bestaunt und bewundert. Er hat in 30 Jahren aus eigener Kraft ein international agierendes Firmenimperium geschaffen. Seine Lebensleistung lässt sich ohne weiteres in EUR beziffern, die Bewertung von Konzern und beträchtlichem Privatvermögen ergibt selbst bei sehr konservativen Ansätzen eine beeindruckende Zahl. In denselben 30 Jahren war die geschiedene Ehefrau nicht erwerbstätig; sie hat den Aufstieg ihres Mannes begleitet, sich um Kinder und Haushalt gekümmert, das soziale Netzwerk organisiert und gepflegt, die Geschäftsfreunde ihres Mannes bewirtet und deren Ehefrauen beim Sightseeing und Shopping begleitet. Die ehemaligen Eheleute hatten vor der Eheschließung Gütertrennung vereinbart, aus Gründen und unter Umständen, die zwar aus heutiger Sicht problematisch sind, möglicherweise aber für die Sanktion der Sittenwidrigkeit immer noch nicht reichen. Der ehemalige Ehemann ist kein Unmensch, er zahlt einen moderaten Unterhalt. Die ehemalige Ehefrau kommt damit ohne weiteres aus; sie war immer bescheiden und sparsam; sie hat auch während der Ehe trotz der glänzenden Einkommensverhältnisse ihres Mannes keine großen Ansprüche für die eigene Person gestellt. Darum geht es ihr auch jetzt nicht. Es geht ihr um eine Anerkennung ihrer eigenen Lebensleistung, ihrer eigenen Arbeit in der Familie und für die Familie, und damit auch ihres (zumindest mittelbaren) Beitrags zum finanziel len Erfolg ihres Mannes. Mit der Auskunft ihrer Rechtsberater, diese Leistung sei menschlich hoch anerkennenswert, aber juristisch schwer greifbar, will sie sich nicht abfinden. Das Recht könne doch nicht so ungerecht sein!
Gegen diesen Standpunkt gibt es aus juristischer Sicht nahe liegende Reaktionen: "Das Leben ist nicht gerecht"; "was gerecht ist, definiert der Gesetzgeber, der Richter wendet die Gesetze an"; vor allem aber: "die Mandantin hat als erwachsene und gut ausgebildete Frau einen solchen Ehevertrag unterschrieben, Vertrag ist eben Vertrag". Überwindet man freilich den ersten juristischen Abwehrreflex, dann stellen sich beunruhigende Fragen: Zählen Leistungen in der Familie und für die Familie, "Familienarbeit", wirklich juristisch nichts oder nur wenig, und wenn das so ist, warum ist das so, und warum ist das bisher kaum aufgefallen oder jedenfalls für sachgerecht gehalten worden, offensichtlich ohne größeres Problembewusstsein. Gibt es ein Gerechtigkeitsproblem, das bisher nicht ausgleichend wahrgenommen wurde, eine Art blinden Fleck im familienrechtlichen und familienpolitischen Diskurs, den es offen zu legen und aufzuarbeiten gilt? Gibt es Handlungsbedarf und Handlungsoptionen?