Eine Partei kann der Wahrheitspflicht nicht dadurch entgehen, dass sie eine andere Person, insbesondere einen Rechtsanwalt, mit ihrer Vertretung im Rechtsstreit beauftragt. Sie ist dafür verantwortlich, dass der Bevollmächtigte wahrheitsgemäß vorträgt, muss also für seine zuverlässige Information und die Korrektur fehlerhaften Vortrags sorgen.
Der Bevollmächtigte unterliegt ebenfalls der Wahrheitspflicht. Er darf aber grundsätzlich auf die Schilderungen des Mandanten vertrauen und ist zu einer Kontrolle nicht verpflichtet. Besteht allerdings Grund zu ernsthaften Zweifeln, muss er diese mit ihm erörtern; Behauptungen, deren Unrichtigkeit er erkennt, darf er sich nicht zu eigen machen, gegnerische Behauptungen, deren Wahrheit er kennt, nicht bestreiten. Der Rechtsanwalt kann nicht mit eigenem Nichtwissen bestreiten; er muss ggf. auf Bestreiten verzichten, bis ihm die nötigen Informationen vorliegen. Zur Ergänzung unvollständiger Angaben des Mandanten ist er nicht verpflichtet.
Die Wahrheitspflicht des Rechtsanwalts hat Vorrang vor den Interessen des Mandanten und prozesstaktischen Überlegungen; sie entfällt aber dann, wenn der Anwalt sich mit der Offenbarung des wahren Sachverhalts in Widerspruch zu früheren eigenen Behauptungen des Mandanten setzen und diesen dadurch der Unwahrhaftigkeit und damit eines versuchten Prozessbetruges bezichtigen müsste. Diesem Dilemma kann er wohl nur durch Niederlegung des Mandats entgehen.