Die Angleichung des Anspruchs aus § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB an den Betreuungsunterhalt geschiedener Ehegatten stößt, wie schon angedeutet, auf Grenzen. Der wichtigste Punkt betrifft das Maß des Unterhalts (Bedarf). Der Verweisung auf § 1610 Abs. 1 BGB entnimmt die Rechtsprechung, dass sich der angemessene Unterhalt der Mutter allein nach ihrer Lebensstellung richtet. Das gilt auch noch, nachdem anerkannt ist, dass sich diese Lebensstellung nach der Geburt des Kindes noch wandeln kann (siehe oben II. 3. b). Denn es bleibt dabei, dass es allein auf die Lebensverhältnisse der Mutter ankommt: Die Lebensverhältnisse des Kindesvaters spielen keine Rolle und selbst langjähriges Zusammenleben der Eltern vor Geburt des Kindes begründet keine "gemeinsamen" Lebensverhältnisse, die das Unterhaltsmaß bestimmen könnten.
Die Frage ist hoch umstritten. Der BGH begründet seine Auffassung wie folgt: Die Lebensstellung des Berechtigten ergibt sich nicht allein aus tatsächlichen Umständen, sondern setzt "stets" eine nachhaltig gesicherte Rechtsposition voraus. Da aus dem bloßen Zusammenleben ohne Kind – vor der Geburt! – kein Unterhaltsanspruch der Frau resultiert, vielmehr der Partner seine Leistungen freiwillig erbringt, ist der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft erreichte tatsächliche Lebensstandard nicht geeignet, eine Lebensstellung für den späteren Unterhalt zu begründen.
Darüber lässt sich streiten. Ist es wirklich ein allgemeines unterhaltsrechtliches Prinzip, dass sich die "Lebensstellung" des Gläubigers nur aus rechtlich gesicherten Verhältnissen ergeben kann? Spielt das z.B. beim Verwandtenunterhalt (§ 1610 BGB) – auf den § 1615l Abs. 3 S. 1 BGB ja verweist – überhaupt eine Rolle? Nach Verabschiedung des "standesmäßigen" Unterhalts, der früher dem § 1610 BGB in Klammern beigefügt war, ist der "Lebensstellung" ein normatives Element fremd. Nicht auf die rechtlichen, sondern auf die tatsächlichen (primär wirtschaftlichen) Verhältnisse kommt es an. Nirgends wird verlangt, dass die Lebensverhältnisse rechtlich abgesichert sein müssten (das sind sie, wenn wir von Lebenszeitbeamten absehen, eigentlich nie). Jedenfalls trägt die Begründung, auf die der BGH seine Ablehnung von "gemeinsamen Lebensverhältnissen" aufgrund faktischen Zusammenlebens stützt, das Ergebnis nicht. Ich habe auch in der Sache Verständnis für die Rechtsmeinungen, die es für möglich halten, aus längerem Zusammenleben eine gemeinsame Lebensstellung herzuleiten.
Man könnte sogar einen Schritt weiter gehen und fragen: Führt nicht die Geburt eines gemeinsamen Kindes für sich gesehen zu einer neuen Lage in der Lebensstellung der Eltern, zu einer mindestens partiellen Gemeinsamkeit? Spätestens mit dieser Geburt entsteht eine gemeinsame Verantwortung für das Kind, die im ständigen Kontakt der Eltern untereinander wahrzunehmen ist. Dabei kommt es auf die Regelung des Sorgerechts nicht an, übergeordnet ist die gemeinsame Elternverantwortung. Ist es gerechtfertigt, bei der Unterhaltsbemessung so zu tun, als habe die Mutter mit dem Kindesvater nichts zu schaffen? Ist es gerechtfertigt, den Unterhaltsbedarf z.B. einer geringverdienenden Serviererin in einer Sportgaststätte, die ein Kind mit einem hochdotierten Fußballstar hat, auf das Existenzminimum zu reduzieren? – arme Mutter, reiches Kind?
Auch wenn die Gemeinsamkeit der elterlichen Verantwortung nicht das gesamte Leben betrifft und einen Quotenunterhalt nach Vorbild des ehelichen Unterhalts nicht schematisch rechtfertigen würde, scheint es doch auch problematisch, sie völlig unberücksichtigt zu lassen. Es besteht dringender Anlass, über den Begriff der Lebensstellung im Rahmen des § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB nachzudenken. In der Sache geht es nicht um Verwandtenunterhalt, sondern um den Unterhalt im Verhältnis eines Paars, das zusammen die Verantwortung für ein gemeinsames Kind trägt.