Infolge der geänderten Rechtsprechung des BGH zur Bemessung des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen hat die Grenze der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wieder eine höhere Bedeutung erlangt.
1. Absoluter und relativer Mangelfall
Die nach § 1581 Abs. 1 Satz 1 BGB gebotene Beachtung der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten hat nach der Rechtsprechung des BGH eine doppelte Bedeutung.
Durch die Beachtung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners wird sichergestellt, dass ihm ein fester Teil seines verfügbaren Einkommens als Mindestselbstbehalt verbleibt. Kann der Unterhaltsschuldner die Unterhaltspflichten bei Wahrung seines eigenen Selbstbehalts nicht erfüllen, liegt ein absoluter Mangelfall vor. Der Selbstbehalt schützt als unterste Grenze das Existenzminimum, damit der Unterhaltsschuldner durch Erfüllung seiner Unterhaltspflicht nicht selbst sozialhilfebedürftig wird. Die Höhe des Selbstbehalts hängt zudem von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung des jeweiligen Unterhaltstatbestands ab. Gegenüber einem getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten liegt der vom Tatrichter zu bemessende Ehegattenselbstbehalt regelmäßig zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt.
Darüber hinaus hat § 1581 BGB auch im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners die Bedeutung, den Halbteilungsgrundsatz zu wahren. Sofern zusätzliche Belastungen des Unterhaltsschuldners nicht schon bei der Bedarfsbemessung berücksichtigt wurden und deswegen auch nicht in die quotale Halbteilung eingeflossen sind, ist im Rahmen der Leistungsfähigkeit zu prüfen, ob ihre Berücksichtigung zu einem relativen Mangelfall führt. Das gilt insbesondere für nachehelich entstandene weitere Unterhaltspflichten die nicht bereits bei der Bedarfsbemessung des geschiedenen Ehegatten berücksichtigt wurden. Denn § 1581 BGB ordnet für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ausdrücklich die "Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen" an. Insoweit ist der BGH wieder zu dem Grundsatz zurückgekehrt, der es gebietet, im Rahmen der Leistungsfähigkeit den "eigenen angemessenen Unterhalt" des Unterhaltspflichtigen i.S.v. § 1581 BGB als Kehrseite des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstehen.
2. Berücksichtigung des Rangs
Allerdings hat der BGH entschieden, dass das Vorliegen eines relativen Mangelfalls von dem Rang der konkurrierenden Unterhaltspflichten abhängig ist. Dafür spricht bereits die gesetzliche Systematik, derzufolge Kapitel 3 mit den §§ 1581 ff. BGB als "Leistungsfähigkeit und Rangfolge" bezeichnet ist. Hinzu kommt, dass die frühere gesetzliche Regelung in § 1582 BGB einen ausdrücklichen Bezug auf § 1581 BGB enthielt. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen war mithin der Rang eines geschiedenen und eines neuen Ehegatten zu berücksichtigen. Durch die Änderung der Rangvorschrift ist zwar der ausdrückliche Bezug auf § 1581 BGB entfallen. Dabei ist der Gesetzgeber allerdings davon ausgegangen, dass die Ursache für die Entstehung von Mangelfällen vielfach in der Heirat und der Gründung einer neuen Familie nach Ehescheidung begründet liegt. Insoweit hat er nicht mehr auf die zeitliche Priorität der Eheschließung, sondern allein auf die Schutzbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten abgestellt, der sich im Rang nach § 1609 BGB niederschlägt. Aus der Gesetzesbegründung geht mithin hervor, dass im Rahmen der nach § 1581 BGB gebotenen Billigkeitsabwägung nach wie vor der Rang verschiedener Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist.
3. Sonstige Verpflichtungen i.S.v. § 1581 BGB
Die Unterhaltspflichten für nachehelich geborene Kinder, nachehelich hinzugekommene Ansprüche gemäß § 1615l BGB und neue Ehegatten beeinflussen nach der Rechtsprechung des BVerfG, der der BGH gefolgt ist, nicht mehr die Bemessung des Bedarfs eines geschiedenen Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Solche nachehelich entstandenen Unterhaltsansprüche sind deswegen auf der Grundlage der sich aus § 1609 BGB ergebenden Rangfolge im Rahmen der Billigkeitsprüfung des § 1581 BGB zu berücksichtigen.
a) Unterhaltsansprüche nachehelich geborener minderjähriger Kinder sind im Rahmen der Leistungsfähigkeit gegenüber dem geschiedenen Ehegatten stets zu berücksichtigen, weil sie nach § 1609 Nr. 1 BGB vorrangig sind und § 1581 BGB deswegen ihre Berücksichtigung als "sonstige Verpflichtungen" anordnet.
b) Nach § 1581 BGB ist auch die Unterhaltspflicht aus einer neuen Ehe als "sonstige Verpflichtung" gegenüber dem geschiedenen Ehegatten zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltsanspruch des neuen Ehegatten nach § 1609 BGB wenigstens gleichrangig ist. Für einen gegenüber dem geschiedenen Ehegatten vorrangigen neuen Ehegatten gilt dies erst recht. Schuldet der Unterhaltspflichtige also einem ...