BGB § 1603 Abs. 2; SGB II § 11b
Leitsatz
1. Für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance bestehe, sind – insbesondere im Bereich der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB – strenge Maßstäbe anzulegen.
2. Dass der Unterhaltspflichtige aus dem Ausland stammt und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, rechtfertigt allein noch nicht die Schlussfolgerung, dass für ihn keine reale Beschäftigungschance im Hinblick auf eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle bestehe.
3. Durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhöht sich dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 19.6.2013 – XII ZB 39/11, FamRZ 2013, 1378).
BGH, Beschl. v. 22.1.2014 – XII ZB 185/12 (OLG Frankfurt, AG Marbach)
1 Gründe:
[1] I. Der minderjährige Antragsteller macht gegen den Antragsgegner, seinen Vater, den Mindestunterhalt geltend.
[2] Der Antragsteller wurde am 8.10.2004 geboren. Der Antragsgegner ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Herkunft. Er ist im Jahr 2001 nach Deutschland gekommen. Er verfügt über einen Realschulabschluss, aber keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er arbeitete jeweils vorübergehend mit geringfügiger Beschäftigung als Aushilfe in einer Bäckerei und als Verkaufs- und Küchenhilfe, nach einer Fortbildung in einem Fortbildungszentrum der HoGa (Hotel und Gastronomie) auch als Aushilfe in einem Café sowie in einem Kebab-Haus und strebte später eine Umschulung an. Der Antragsgegner hat ein weiteres Kind, das am 20.8.2008 geboren wurde und bei der Mutter lebt.
[3] Der Antragsgegner zahlt keinen Kindesunterhalt und beruft sich auf mangelnde Leistungsfähigkeit. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner sich ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat und ob er bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein anrechnungsfreies Einkommen für den Kindesunterhalt einsetzen muss.
[4] Das Amtsgericht hat den Antragsgegner zur Zahlung des Mindestunterhalts (abzüglich des hälftigen Kindergelds) verpflichtet. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht den Unterhaltsantrag abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers.
II. [5] Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
[6] 1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann eine auch an den gesteigerten Anforderungen des § 1603 Abs. 2 BGB gemessene Leistungsfähigkeit des Antragsgegners gegenwärtig nicht festgestellt werden. Er könne ohne Gefährdung des eigenen Selbstbehalts von 900 EUR (für 2010) bzw. 950 EUR (seit Januar 2011) keine Beträge für den Kindesunterhalt erübrigen. Ausgehend von einer Versteuerung nach der Grundtabelle müsse er 1.265 EUR bzw. (ab 2011) 1.355 EUR brutto, entsprechend einen Stundenlohn von 7,30 EUR bzw. 7,83 EUR, verdienen, von da an könne er den ersten EUR an Unterhalt zahlen. Für die Zahlung des vom Amtsgericht festgesetzten Unterhalts müsse er 1.816 EUR bzw. 1.911 EUR brutto verdienen, mithin einen Stundenlohn von 10,70 EUR bzw. 11,24 EUR. Angesichts seiner Erwerbsvita seien hingegen Ganztagsstellen, bei der er auch nur 7,30 EUR verdienen könne, für ihn verschlossen. Zwar sei er noch jung und verfüge über beachtliche Sprachkenntnisse, inzwischen auch im Deutschen. Gleichwohl müsse er mit dem Nachteil leben, dass er lediglich einen "türkischen Realschulabschluss" mitbringe und über keinerlei Berufsausbildung verfüge, weder in der Türkei noch in Deutschland. Er sei allerdings bemüht, sich fortzubilden und eine Ausbildung zu absolvieren, die es ihm in Zukunft ermöglichen könne, den Unterhalt für den Antragsteller, der noch längere Zeit Unterhalt benötige, durch Zahlungen sicherzustellen.
[7] Der Antragsgegner sei auch nicht deshalb als leistungsfähig anzusehen, weil es ihm ermöglicht würde, sofern er überhaupt Arbeitslosengeld II beziehe, anrechnungsfrei so viel hinzuzuverdienen, dass er den Mindestunterhalt für sein Kind sicherstellen könne. Die Berücksichtigung titulierter Unterhaltsverpflichtungen gelte nur für bereits vorhandene, nicht aber für noch zu erstellende Unterhaltstitel.
[8] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[9] a) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete ...