aa) Frühere Rechtsprechung
Das Maß des nachehelichen Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Gesetzgeber wollte durch diese Anknüpfung einen sozialen Abstieg des bedürftigen Ehegatten vermeiden vor dem Hintergrund, dass das erreichte eheliche Lebensniveau regelmäßig als Ergebnis der Leistungen beider Ehegatten anzusehen ist. Dem entsprach der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB), weil daraus früher eine Lebensstandardgarantie hergeleitet wurde, allerdings nur in eingeschränkter Form, weil der unterhaltsberechtigte Ehegatte jedenfalls nach der Scheidung am wirtschaftlichen Aufschwung des geschiedenen Partners nicht mehr teilnehmen sollte.
Klarheit bestand in der früheren Rechtsprechung insoweit, als der Bedarf den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nach oben begrenzte und die Rechtskraft der Scheidung – jedenfalls im Grundsatz – als der entscheidende Stichtag für die Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse angesehen wurde. Nachträgliche Änderungen der Verhältnisse sollten – mit Ausnahme der Surrogat-Fälle – grundsätzlich ohne Auswirkung bleiben, außer in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Scheidung
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eine spätere Veränderung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war |
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und diese Erwartung die ehelichen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung bereits mitgeprägt hatte. |
Begründet wurde dies mit dem Gedanken der nachehelichen Solidarität; der Bedürftige sollte auch an späteren Einkommensverbesserungen teilhaben, deren Grund in der Ehe gelegt worden war und die sich im Zeitpunkt der Scheidung schon abgezeichnet hatten. Für die Prägung war ausreichend, dass die Ehegatten ihren Lebenszuschnitt im Hinblick auf die bevorstehende Entwicklung gestalten konnten. Bei einem späteren Wegfall von Unterhaltsverpflichtungen wurde ein enger zeitlicher Zusammenhang als wichtiges Indiz für die Beurteilung der Frage angesehen, ob die ehelichen Lebensverhältnisse durch die unerwartete Änderung schon geprägt worden waren; fiel die Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind weg, wurde dieser Wegfall im Regelfall als eheprägend angesehen.
Andererseits betonte der BGH schon damals, der Bedarf sei nicht als statische, sondern als dynamische Größe anzusehen. Daraus ergaben sich zahlreiche Unklarheiten:
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Einerseits wurde eine übliche Beförderung des Unterhaltsschuldners als "angelegt" angesehen und deshalb als bedarfsprägend berücksichtigt, |
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andererseits wurde dies abgelehnt für den Fall, dass die Ehefrau nach Älterwerden der Kinder eine Berufstätigkeit aufnahm mit der Folge der ungünstigeren Anrechnungsmethode. |
Nicht ganz stimmig erschien auch, dass
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einerseits (im Ergebnis wohl zu Recht) eine Prägung der ehelichen Lebensverhältnisse durch die Pflegebedürftigkeit der Eltern im Alter abgelehnt wurde mit der Begründung, das Anfallen entsprechender Kosten sei regelmäßig nicht absehbar, |
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andererseits eine Prägung durch eine nach Trennung und vor Scheidung anfallende Erbschaft bejaht wurde. |
bb) "Wandelbare eheliche Lebensverhältnisse"
Anfang 2003 wurde vom BGH in der "Abfindungs-Entscheidung" erstmals ausgeführt, nach der Scheidung eintretende Einkommensverminderungen seien bei der Bedarfsbemessung hinzunehmen, sofern sie nicht auf einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit des Schuldners beruhten oder durch freiwillige berufliche oder wirtschaftliche Dispositionen des Schuldners veranlasst seien und von diesem durch zumutbare Vorsorge aufgefangen werden könnten. Ende 2004 wurde in der "Selbstbehalt-Entscheidung" vom BGH der Selbstbehalt festgelegt, der dem Schuldner gegenüber einem Anspruch der Mutter eines nichtehelichen Kindes auf Betreuungsunterhalt (§ 1615 l Abs. 2 BGB) zusteht. Im Frühjahr 2006 wurde vom BGH in der "Zwischenselbstbehalt-Entscheidung" der Selbstbehalt nach § 1361 BGB mit demjenigen nach § 1581 BGB gleichgesetzt und zur Berücksichtigung von Einkommensänderungen schon bei der Bedarfsbemessung auf die Entscheidung von Anfang 2003 verwiesen. Da...