In der früheren Rechtsprechung wurde das Altersphasenmodell als ohne Weiteres kindgerecht angesehen. Es wurde vom BGH – schon in Kenntnis der Reformbestrebungen – noch 2006 ausdrücklich bestätigt, und zwar unter Hinweis auf die erforderliche verstärkte Beaufsichtigung und Fürsorge des Kindes noch in den ersten beiden Schuljahren. Nach der neuen Gesetzeslage (siehe oben unter 2. a) könnte man meinen, der Gesetzgeber wisse genau, was für das Kind am besten sei; denn nach dem Auslaufen der "Basiszeit" von drei Jahren besteht für den betreuenden Elternteil grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit und die Verpflichtung, alle "bestehenden" Möglichkeiten der Kinderbetreuung (§ 1570 Abs. 3 S. 1 BGB) in Anspruch zu nehmen, sofern das mit dem Kindeswohl in Einklang steht. In der einschlägigen Rechtsprechung sucht man allerdings vergeblich eine Auseinandersetzung mit Bedenken, die einen quantitativen (Was ist mit Ferienzeiten? Was ist bei Erkrankung des Kindes und notwendigen Arztbesuchen?) oder qualitativen (Sind die Eltern wirklich zu ersetzen?) Hintergrund haben können.
Sicherlich wird in vielen Fällen eine Fremdbetreuung positive Auswirkungen auf das Kind entfalten, beispielsweise in Form von Förderung und Anregungen, die bei sehr einfachen Verhältnissen aufseiten des betreuenden Elternteils möglicherweise nicht gegeben sind. Ob das aber ausreicht, um im Ergebnis einen "Zwang zur Fremdbetreuung" anzunehmen, erscheint zweifelhaft. Geht es um kindliche "Kümmernisse" wie Schwierigkeiten mit Klassenkameraden oder gar Mobbing, dürfte der betreuende Elternteil als Anlaufstelle nicht zu ersetzen sein, von Problemkindern ganz zu schweigen. Unabhängig davon wird man mit steigendem Kindesalter auch nicht linear auf geringere Betreuungsbedürftigkeit schließen dürfen; vielmehr sind "Wellenbewegungen" in Abhängigkeit vom Wechsel der Ausbildungsabschnitte und den entsprechenden Belastungen zu berücksichtigen.
Auch eine – in der Schule durch ältere Schüler stattfindende – Hausaufgabenbetreuung (oft nur: Beaufsichtigung) wird häufig nicht dieselbe Qualität haben wie eine elterliche Beteiligung; Entwicklungsstand und Gesundheit des Kindes müssen zur jeweiligen Art und Dauer der Betreuung passen. Nicht zuletzt sind Belastungen des Kindes durch Trennung/Scheidung sowie Verlustängste von Bedeutung; gestörte Verhältnisse indizieren regelmäßig erhöhten Betreuungsbedarf.
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die gesetzliche Neuregelung vielfach keine Verbesserung des Kindeswohls, sondern das Gegenteil bewirkt, weil das Mehr an Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils durch ein Weniger an persönlicher Kindesbetreuung erkauft wird. Es erscheint zweifelhaft, ob die nach Ende der "Basiszeit" vorzunehmende Billigkeitsprüfung hinreichend berücksichtigt, welchen Wert die persönliche Betreuung durch den Elternteil für das Kind hat.