Als Nächstes ist damit zu klären: Worauf bezieht sich dieses Recht und welchen Umfang hat es?
a) Recht auf erlangbare Informationen
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinen ersten Entscheidungen deutlich gemacht, dass es den Staat nicht in der Pflicht zu einer Informationsverschaffung sieht. Vielmehr darf der Staat erlangbare Informationen nicht vorenthalten. Dies dürfte man wohl angesichts des Gewichts, das dem Kenntnisrecht jedenfalls inzwischen zugebilligt wird, dahin verstehen: Die Rechtsordnung hat dafür Sorge zu tragen, dass niemandem ermittelbare und feststellbare Informationen über seine Identität vorenthalten werden.
Auch in den Fällen, die den EGMR bisher beschäftigt haben, ging es stets nur um den möglichen Zugang zu Informationen, nicht aber um eine staatliche Informationsverschaffung. Aus Art. 8 EMRK leitet der EGMR aber – ähnlich der obigen Deutung der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung – die Verpflichtung des Staates her, Maßnahmen zu ergreifen, um die Achtung vor dem Privatleben auch zwischen den betroffenen Personen sicherzustellen.
b) Unterscheidung zwischen Kenntnis und Status
Da es um Kenntnis, also nur um den Zugang zu Informationen über die eigene Abstammung geht, ist dieses Recht im Grundsatz statusunabhängig, d.h. es besteht für das in der Ehe geborene Kind ebenso wie für das außerehelich geborene Kind. Es muss auch nicht notwendig mit der Begründung oder Veränderung einer entsprechenden statusmäßigen Beziehung verbunden sein. Sprich: Der biologische Vater muss nicht in der Folge der Kenntnisnahme auch zum rechtlichen Vater gemacht werden oder gemacht werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung von 1989 hervorgehoben, dass der Gesetzgeber Spielraum habe, welche Möglichkeiten der Klärung der biologischen Abstammung er vorsehe. Dabei ging es davon aus, dass ein verfassungsrechtlich unbedenklicher Weg die Feststellung einer biologischen Elternschaft ohne Veränderung der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung sein könne. Auch der EGMR bejaht ein Recht auf Kenntnis/Feststellung der biologischen Abstammung, selbst wenn eine statusmäßige Zuordnung zu dem biologischen Elternteil nicht möglich ist oder nicht vorgenommen werden soll.
c) Recht unabhängig von Zeugungsart
Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist des Weiteren unabhängig von der Art der Zeugung. Es gilt auch bei einer medizinisch assistierten Zeugung, insbesondere auch bei einer Samenspende. Für das deutsche Recht ist dies schon seit Langem nicht zweifelhaft. Der BGH und das OLG Hamm haben dies erneut in ihren Entscheidungen über einen gegen den Arzt gerichteten Auskunftsanspruch hervorgehoben. Auch der EGMR scheint dies nach seiner Entscheidung im Fall Mennesson/Frankreich grundsätzlich so zu sehen. In dieser Entscheidung ging es um die Zuordnung der Vaterposition des biologischen Vaters zu dem von einer US-amerikanischen Leihmutter geborenen Kind.
Zwar lassen noch einige europäische Rechtsordnungen eine anonyme Samenspende zu. Und die Eizellenspende ist in einigen europäischen Rechtsordnungen sogar zwingend anonym. Demgegenüber geben beispielsweise das österreichische, schweizerische, niederländische, englische, irische, norwegische, finnische, und schwedische Recht dem Kind die Möglichkeit, identifizierende und – jedenfalls teilweise – auch nicht identifizierende Daten über den Keimzellenspender zu erfahren, ohne daran aber statusrechtliche Folgen zu knüpfen.