Die für viele zu unverbindliche Forderung einer intensiveren Richterfortbildung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode macht das Dilemma deutlich: Gewünscht ist eine fundiertere Richterfortbildung, in Länderkompetenze soll aber nicht eingegriffen werden und schon gar nicht soll der Verdacht aufkommen, die richterliche Unabhängigkeit solle eingeschränkt werden. Nach hier vertretener Auffassung ist es jedoch an der Zeit, nicht weiter allein über das Ob einer verbindlichen Richterfortbildung zu diskutieren, sondern konkret notwendige curriculare Bestandteile (wie z.B. Gesprächsführung) bereits im Studium, in der Referendarausbildung, d.h. im Rahmen der Ausbildung zum Erwerb der Befähigung zum Richteramt, sowie später dann in der spezialisierten Fortbildung für Familienrichterinnen und Familienrichter zu etablieren.
Eine wichtige Begründung für die Forderung nach einem konsequenten Aufbau von Handlungskompetenzen und von entwicklungsbezogenem Wissen ist die Häufigkeit von frühen Kindheitsbeeinträchtigungen, die es rechtfertigt, dass solche Themen auf allen Ebenen der Ausbildung, der Weiterbildung und der Fortbildung systematisch adressiert werden. Gerade weil in den meisten Kinderschutzentscheidungen weder von den Jugendämtern noch von den betroffenen Eltern Beschwerde eingelegt wird, landen sehr wenige Kinderschutzverfahren, die einem massiven Selektionseffekt unterliegen und eben nicht repräsentativ sind, bei den Oberlandesgerichten oder gar beim BGH in Familiensachen oder dem Bundesverfassungsgericht. Damit unterbleibt gerade in diesem hoch sensiblen, grund- und menschenrechtlich relevanten Bereich eine wesentliche Komponente richterlicher Fortbildung, nämlich die Orientierung an der Entscheidung von Obergerichten. Vergleicht man z.B. die Rechtsprechung zu Fragen des Versorgungsausgleichs und anderen materiellen Fragen mit Entscheidungen, die den Kinderschutz betreffen, fällt diese Disproportion schon deutlich auf.
Insofern ist es auch notwendig, dass für die allgemein bekannt gewordenen "Skandalfälle" eine fundierte Untersuchung und Aufarbeitung erfolgt, welche nicht primär interessensgeleitet, sondern unabhängig ist. Im Vereinigten Königreich gibt es hierfür Kommissionen, meist mit richterlichem Vorsitz und Ermittlungsmöglichkeiten, die wesentliche Beiträge zum Fortschritt des Kinderschutzes geleistet haben. Die eingangs zitierten Antworten einer Landesregierung in einem zum Skandal gewordenen Einzelfall können diese notwendige Aufklärung nicht bieten; sie decken eher das Problem zu, als dass konkrete Probleme und daraus resultierende Forderungen angesprochen werden.
Bis dato fehlte es auch an einer juristischen Analyse beider Urteile im "Breisgauer Fall", insbesondere mit Blick auf die im Familienverfahrensrecht vorgegebenen Instrumente. Eine solche wird jedoch im Mai 2018 von Salgo erfolgen. Veröffentlichte Literatur und wissenschaftliche Debatte ist eine wichtige Grundlage der kontinuierlichen Weiterbildung, zu der Fachzeitschriften beitragen. Der vorliegende Beitrag sollte sich nicht am Einzelfall festhalten, sondern im Gegenteil dafür plädieren, dass in der gesamten Ausbildung von Juristinnen und Juristen und besonders in der Fort- und Weiterbildung von Familienrichterinnen und Familienrichtern künftig Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Gesprächsführung zur Kindesanhörung adäquat erlernt und umgesetzt werden kann und Kindesentwicklung und mögliche Belastungen von Kindern adäquat eingeschätzt werden können.
Autor: Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert , Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm; Dr. jur. Andrea Kliemann , Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
FF 6/2018, S. 223 - 229