Neben zentral zu trainierenden Kompetenzen zur Gesprächsführung, Rapportbildung und zur Problematik artifizieller Gesprächssituationen (z.B. Identifizierung sozialer Erwünschtheit in den Antworten) braucht es zudem konkrete Weiterbildungen zur Bedeutung der o.g. zehn häufigen frühkindlichen Belastungsbereiche (Adverse Childhood Experiences). Darüber hinaus sollten Familienrichterinnen und Familienrichter Wissen über die normale kindliche Entwicklung und die Entwicklung von Kindern mit körperlichen und/oder seelischen Beeinträchtigungen haben, denn viele Entscheidungen, die eine gewisse Belastbarkeit von Kindern, z.B. in Umgangsfragen, voraussetzen, sind dann ganz unterschiedlich zu treffen, wenn das betroffene Kind oder der Jugendliche vorbelastet ist. Ansonsten verfügen viele Kinder auch über eine relativ große Resilienz. Auch diese protektiven Faktoren müssten Ausbildungsgegenstand sein.[26]

Last but not least gehört auch die Einschätzung realer Verläufe und Gefährdungen bei Schutzmaßnahmen zu den notwendigen Weiterbildungsinhalten. Denn leider ist es so, dass Kinder, die in Einrichtungen der Jugendhilfe zu ihrem Schutz fremduntergebracht werden, nicht per se vor weiterem Missbrauch geschützt sind. In einer Untersuchung von 322 Jugendlichen in Internaten und Jugendhilfeeinrichtungen fanden wir extrem hohe Raten sexueller Gewalterfahrungen bei den dort untergebrachten Jungen und Mädchen. Besonders beunruhigend war der Befund, dass mehr als 5 % aller Jugendlichen zum ersten Mal während der Unterbringung in der aktuellen Einrichtung, die ihren Schutz eigentlich gewährleisten sollte, Opfer eines Übergriffs mit Penetration wurden. Bei Güterabwägungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen müssen Familienrichterinnen und -richter deshalb auch die zukünftigen Entwicklungschancen und die Rahmenbedingungen einer Fremdunterbringung stärker in den Blick nehmen.

[26] Vgl. auch den Katalog der "weichen" Themen für familienrichterliche Tätigkeit im Kindschaftsrecht von Salgo, Die Beziehung zwischen Familienrecht und Human-/Sozialwissenschaften am Beispiel des Kindschaftsrechts, ZKJ 2017, 254, 258; sowie Salgo, Die Beziehung zwischen Familienrecht und Human-/Sozialwissenschaften am Beispiel des Kindschaftsrechts, ZfF 2016, 191, 202.

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