Die neueste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB (Urt. v. 18.4.2012 – XII ZR 65/10) gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Instanzgerichte in Zukunft zu ausgewogeneren Entscheidungen zur Frage der Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils gelangen.
Dabei sagt die Entscheidung des BGH eigentlich gar nichts Neues – aber das Alte in neuen Worten! Erneut betont der BGH, dass beim Betreuungsunterhalt zunächst der individuelle Umstand zu prüfen ist, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung durch eine Fremdbetreuung des Kindes gesichert ist. Und der BGH führt wiederum aus, dass der Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus trägt. Der Berechtigte hat danach also auch weiterhin darzulegen und zu beweisen, dass keine kindgerechte Einrichtung für die Betreuung des gemeinsamen Kindes zur Verfügung steht oder dass aus besonderen Gründen eine persönliche Betreuung erforderlich ist. Auch Umstände, die aus elternbezogenen Gründen zu einer eingeschränkten Erwerbspflicht und damit zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts führen können, hat der Unterhaltsberechtigte darzulegen und zu beweisen.
Soweit – so bekannt!
Doch dann kommt der entscheidende Gedanke/Hinweis/Satz, der sich in den anderen Entscheidungen eben nicht findet – auch wenn der BGH das durch einen Verweis auf die Entscheidung vom 15.6.2011 – XII ZR 94/09 Glauben machen will: Insbesondere an die Darlegung kindbezogener Gründe sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen!
Zugegeben, der BGH hat niemals geurteilt, dass an die Darlegung kindbezogener Ansprüche überzogene Ansprüche gestellt werden müssten – das ist aber eine Selbstverständlichkeit! Wenn der BGH jetzt darauf hinweist, dass insbesondere an die Darlegung kindbezogener Gründe keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen, dann bedeutet dies im Ergebnis eine Erleichterung der Darlegungslast.
Und das ist auch gut so!
Denn dies ist im Sinne der Belange des Kindes – und um die Wahrung derer geht es letztlich beim Betreuungsunterhalt. Deshalb ist den weiteren Ausführungen des BGH zur Berücksichtigungsfähigkeit von Aktivitäten des Kindes auch nur eingeschränkt zuzustimmen – denn diese gehen nicht weit genug. Die Richtung stimmt, nämlich dass solche Aktivitäten geeignet sind, die Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils einzuschränken. Aber es ist nicht richtig, dass das Kind Einschränkungen seiner Aktivitäten hinnehmen muss, die es bereits während des Zusammenlebens der Eltern ausgeübt hat, damit der betreuende Elternteil in einem größeren Umfang arbeiten gehen kann. Und ebenso muss es möglich sein, dass ein Kind seine Talente in neuen Aktivitäten ausprobiert – auch wenn dies zu einer Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten des betreuenden Elternteils führt. Natürlich gilt es auch dabei Augenmaß zu bewahren – aber manche Kindesinteressen und -talente entwickeln sich eben erst im Grundschulalter.
Und eines sollten wir nicht vergessen: Die Belange des Kindes umfassen auch Fürsorge, emotionale Zuwendung und Anteilnahme an den Erfolgs- und Misserfolgserlebnissen in Schule und Freizeit.
Insgesamt ist der "veränderte Zungenschlag" in der neuen Entscheidung des BGH zu begrüßen – gerade und vor allem im Sinne der Kinder. Nun ist es Aufgabe der Familienrechtsanwälte, diese Rechtsprechung mit Augenmaß durch substantiierten Tatsachenvortrag auszufüllen: Dabei können "Betreuungstagebücher", die der betreuende Elternteil führt und die dem Gericht vorgelegt werden, eine große Hilfestellung sein.
Autor: Jochem Schausten
Jochem Schausten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Krefeld