Die bis hierher beschriebene Situation ist die Erkenntnis, die schon vor den beiden Entscheidungen des BGH bestanden hat. Was ist nun das Besondere an der modifizierten Ertragswertmethode des BGH?
Um das zu erläutern, ist für die Ertragswertmethode noch ein Nachtrag erforderlich. Bei einem inhabergeführten Unternehmen, ganz besonders bei einer freiberuflichen Praxis, wird der Inhaber auch zukünftig die wesentliche Arbeit in der Praxis leisten oder zumindest mitarbeiten. Das Geld, das er damit verdient, ist jetzt, also zum Zeitpunkt der Bewertung, für den Zugewinnausgleich, noch nicht vorhanden und kann nicht geteilt werden. Um den heutigen Wert des Unternehmens ermitteln zu können, muss also der zukünftige Ertrag aufgespalten werden in einen solchen, der aus zukünftiger Arbeit erwächst, und einen weiteren, der aus dem heute schon vorhandenen Unternehmenswert entsteht. Diese Aufteilung ist das eigentlich Schwierige und führt zu den größten Unschärfen bei der Ertragsbewertung.
Für gewerbliche Unternehmen gibt es inzwischen eine standardisierte Bewertungsmethode. Sie ist sehr detailliert entwickelt worden von dem Institut der Wirtschaftsprüfer und wird als IDW-Standard S1 bezeichnet. Nach diesem Standard ist aus dem zukünftig zu erwartenden Ertrag ein fiktiver Unternehmerlohn herauszurechnen. Das ist der Aufwand, den das Unternehmen betreiben müsste, wenn es anstelle des Inhabers einen Geschäftsführer mit gleichen Aufgaben einstellen würde. Das Jahresergebnis ist also um den Gesamtaufwand für den fiktiven Geschäftsführer zu verringern. Nach Auffassung der Betriebswirtschaftslehre resultiert der danach verbleibende Gewinn eines Unternehmens aus dessen Wert, aus dessen Kapital, und nicht mehr aus zukünftiger Arbeit.
a) Der individualisierte Unternehmerlohn
Hier setzt auch die Überlegung des BGH an. Er modifiziert die Methode jedoch insoweit, als von dem erwarteten Ertrag nicht ein objektivierter Unternehmerlohn abgezogen wird, sondern ein ganz konkreter, auf die Person des Freiberuflers bezogener Unternehmerlohn. Dieser individualisierte Unternehmerlohn wird in der Regel höher sein als der Betrag, der für einen außenstehenden Geschäftsführer zu zahlen wäre.
Die individualisierende Betrachtung erscheint bei einer freiberuflichen Praxis schon für sich genommen als richtig und erforderlich. Man wird wohl generell annehmen können, dass die Bedeutung des Praxisinhabers im freiberuflichen Betrieb wesentlich größer ist als im gewerblichen, etwa produzierenden Unternehmen. Darüber hinaus erledigt der BGH mit dem individualisierten Unternehmerlohn sehr elegant ein weiteres Problem. Auch das ist überzeugend und verdient Zustimmung:
Im Zugewinnausgleichsverfahren ist seit einigen Jahren das Verbot der Doppelverwertung anerkannt. Danach dürfen Vermögenswerte, die bereits der Berechnung von Ehegattenunterhalt zugrunde gelegen haben, nicht ein weiteres Mal zur Ermittlung einer Zugewinnausgleichsverpflichtung herangezogen werden. Der BGH gibt in den Entscheidungen von 2011 konkrete Anhaltspunkte dafür, wie der Unternehmerlohn individualisiert werden kann. Der tatsächliche Arbeitseinsatz im Vergleich zu dem eines Angestellten ist zu betrachten. Ein Zuschlag dafür, dass er das Risiko des Unternehmens alleine trägt, ist ebenso berechtigt wie ein Zuschlag für die Spezialkenntnisse, die nur er hat und die seinen zukünftigen Arbeitserfolg ausmachen werden. Berücksichtigt werden muss schließlich, dass der Unternehmer die Kosten seiner sozialen Absicherung ganz alleine zu tragen hat.
b) Kritik an der Methode
In der Entscheidung heißt es, dass der Wert einer Praxis aus dem wirklichen Wert seiner Anlagegüter zuzüglich dem Goodwill bestehe. Zumindest in verschiedenen Äußerungen der Literatur ist daraus gefolgert worden, dass zum einen der Substanzwert ermittelt werden müsse und diesem Substanzwert dann der durch die modifizierte Ertragswertmethode ermittelte Goodwill hinzugerechnet werden müsse. Versteht man die Methode so, führt sie nicht zu richtigen Ergebnissen. Der so ermittelte Wert wäre zu hoch.
Die Ertragswertmethode, wie sie nach dem IDW-Standard beschrieben wird, ermittelt den Wert des gesamten Unternehmens, also aller Wirtschaftsgüter, der materiellen und der immateriellen. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anlagegüter der Gewinnerzielung dienen und für sich genommen keinen Wert haben. Nur durch ihr Zusammenwirken innerhalb des funktionierenden und lebenden Betriebes haben sie einen Wert und erzeugen sie Ertrag. Der tatsächliche Ertrag lässt sich nicht danach unterscheiden, wieweit er durch Maschinen und Büromöbel, Kundenbeziehungen oder Produktionsverfahren erzeugt wird. Nicht anders ist das aber bei einer freiberuflichen Praxis. Der Gewinn, der der Bewertung zugrunde gelegt wird, wird nicht nur durch den Goodwill, sondern ebenso durch die Anlagegüter der Praxis erzeugt. Diese Anlagegüter werden durch den Ertragswert deshalb miterfasst. Es wäre falsch, sie zu dem so ermittelten Unternehmenswert ein weiteres Mal hinzuzurechn...