1. Privilegierung von volljährigen Kindern
Die Privilegierung von volljährigen Kindern wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass sie eine doppelt qualifizierende Ausbildung betreiben. An Bildungseinrichtungen wird ihnen vielfach die Möglichkeit geboten, eine Berufsausbildung mit anerkanntem Abschluss und zugleich einen höheren Schulabschluss wie die Fachhochschulreife zu erwerben (etwa Kaufmännische Assistentin mit der Fachrichtung Fremdsprachen, staatlich geprüfter Wirtschaftsassistent Fachrichtung Umweltschutz, Staatlich geprüfter Assistent für Betriebswirtschaft jeweils verbunden mit dem Erwerb der Fachhochschulreife). Die Privilegierung setzt voraus, dass sich das volljährige Kind in der allgemeinen Schulausbildung befindet und nicht in der Berufsausbildung. In der allgemeinen Schulausbildung befindet sich das Kind in diesen Fällen, wenn der Schwerpunkt auf dem schulischen Teil, d.h. in der Vermittlung allgemeiner Bildung liegt. Um dies feststellen zu können, bedarf es der Darlegung des Ausbildungsgangs und der Verteilung der Ausbildungsinhalte bezogen auf den beruflichen und den allgemeinbildenden Bereich.
2. Mehrstufige Ausbildungsgänge
Für mehrstufige Ausbildungsgänge, etwa in den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen, wird die Einheitlichkeit des Ausbildungsgangs dadurch gewahrt, dass die einzelnen Ausbildungsabschnitte in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen und die praktische Ausbildung und das Studium sich jedenfalls sinnvoll ergänzen müssen. Der Studienentschluss muss in diesen Fällen nicht von vornherein, sondern kann auch erst nach Beendigung der Lehre gefasst werden. Beispiele für einen sachlichen Zusammenhang: Bauzeichnerlehre und Architekturstudium; Landwirtschaftliche Lehre und Studium der Agrarwirtschaft; Banklehre und Jurastudium; anzuerkennender Bildungsgang Realschule – höhere Berufsfachschule – Fachhochschulstudium bei einer beruflichen Ausbildung zur Sozialassistentin und dem Studium der sozialen Arbeit. Trotz verschiedener Berufssparten kann ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen Lehre und dem Studium bestehen. Insoweit ist ausreichend, wenn praktische Ausbildung und Studium so zusammenhängen, dass das eine für das andere eine fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung bedeutet oder dass die praktische Ausbildung eine sinnvolle und nützliche Vorbereitung auf das Studium darstellt. Dieser sachliche Zusammenhang kann auch für eine Banklehre und das Lehramtsstudium bejaht werden, wenn das angestrebte Berufsziel (Lehrerin an berufsbegleitenden Schulen) als Zwischenschritt den angetretenen Bachelor-Studiengang erfordert, um dann das ebenfalls erforderliche Master-Studium beginnen zu können. Für die Frage, welcher Berufssparte die Ausbildung zuzurechnen ist, sind diese beiden Abschnitte daher als einheitliche mehrstufige Ausbildung zum Lehramt einzuordnen. Dass der Bachelor-Abschluss für sich genommen zu anderen Berufen als dem Lehramt befähigt, ist insoweit ohne Belang.
3. Zumutbarkeit der Finanzierung
Ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt in den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen ist nur dann gegeben, wenn den Eltern, ihre Leistungsfähigkeit vorausgesetzt, eine Unterhaltspflicht im Einzelfall zumutbar ist. Die Zumutbarkeitsprüfung ist in den so genannten Abitur-Lehre-Studium-Fällen besonders wichtig, weil die Eltern durch diesen längeren Ausbildungsweg in ihren wirtschaftlichen Belangen stärker betroffen sein können als bei einer herkömmlichen Ausbildung. Für die Frage der Zumutbarkeit ist u.a. darauf abzustellen,
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ob die Eltern damit rechnen mussten, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt, |
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ob sie ihr Kind bereits im Rahmen einer vorangegangenen Berufsausbildung unterstützen mussten, |
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ob sie in Erwartung eines früheren Ausbildungsabschlusses ihres Kindes anderweitige wirtschaftlich belastende Dispositionen getroffen haben, |
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ob das Kind seine Eltern nach dem Abitur über seine Pläne informiert hat. |
Eine feste Altersgrenze für die Aufnahme und die Beendigung einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Unterhaltsanspruch entfällt, gibt es nicht. Allerdings tritt die Elternverantwortung dem Grundsatz nach immer mehr zurück, je älter ein Kind bei Aufnahme einer Ausbildung ist und je eigenständiger es seine Lebensverhältnisse gestaltet.