1. Bedarf des Elternteils

Der Unterhaltsbedarf des Elternteils gemäß § 1610 Abs. 1 BGB besteht bei vollstationärer Pflege im Pflegeheim nach den dort anfallenden Kosten, soweit diese unterhaltsrechtlich notwendig sind, zuzüglich des Barbetrags zur persönlichen Verwendung gemäß § 27b Abs. 2 SGB XII. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und damit auf eine ihm zumutbare einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Der Unterhaltsbedarf eines im Pflegeheim lebenden Elternteils mit Hörbehinderung erstreckt sich auf den durch die Unterbringung in einer Gehörlosenwohngruppe bedingten Mehrbedarf. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Heim, in dem der pflegebedürftige gehörlose Mensch lebt, dessen Bedürfnis nach barrierefreier Pflege und Betreuung in einer Gehörlosenwohngruppe sicherstellen kann. Dem Pflegebedürftigen ist nicht zuzumuten, diese in besonderem Maße behinderungsgerechte Wohnform nicht in Anspruch zu nehmen und in einer allgemeinen Wohngruppe zu verbleiben. Die Mehrkosten (im Streitfall 16 EUR täglich) beruhen auf der Bereitstellung einer insgesamt den Bedürfnissen pflegebedürftiger gehörloser alter Menschen entsprechenden Wohngruppe einschließlich Pflege und Betreuung durch gesondert geschulte Pfleger. Es geht nicht um die Inanspruchnahme einzelner zu vergütender Kommunikationshilfen, die nach § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I zu beurteilen wäre. Mehraufwendungen des Sozialhilfeträgers aufgrund vollstationärer Pflege des Hilfeempfängers in einer Gehörlosenwohngruppe begründen keine unbillige, eine Beschränkung des Übergangs von Unterhaltsansprüchen rechtfertigende Härte i.S.d. § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII.[67]

[67] OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 103 = BeckRS 2017, 115296 n. rkr. Rechtsbeschwerde zu XII ZB 384/17.

2. Leistungsfähigkeit des Kindes

In der Beurteilung von Elternunterhaltsfällen steht die Bemessung der Leistungsfähigkeit des Kindes im Vordergrund. Insbesondere die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens wirft Probleme auf. Damit hat sich der BGH befasst.

a) Abzug von berufsbedingten Fahrtkosten

Dem berufstätigen, auf die Nutzung seines privaten Pkw angewiesenen Kind kann zugebilligt werden, entsprechend seinen bisherigen Gewohnheiten eine längere Strecke zur Arbeitsstelle zu fahren, die schneller ist als die kürzeste. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Abzug der Kosten für die kürzeste Strecke nur eine relativ geringfügige Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit bewirken würde.[68]

[68] BGH NJW 2017, 1169 m. Anm. Reinken = NZFam 2017, 303 m. Anm. Norpoth = FamRZ 2017, 519 m. Anm. Hauß.

b) Abzug von Versicherungsprämien

Eine Risikolebensversicherung dient weder der Vermögensbildung noch der Altersvorsorge. Sie kann vielmehr eine Hausfinanzierung bzw. den Ausfall der Arbeitskraft absichern. Beiträge hierfür können nach den Umständen des Einzelfalls auch dann berücksichtigt werden, wenn sie wegen der Höhe der Prämien eine besondere Belastung darstellen. Für die Frage der Absetzbarkeit kann auch Bedeutung gewinnen, wenn die Versicherung vor dem Bekanntwerden der Unterhaltsverpflichtung abgeschlossen wurde.[69]

[69] BGH NJW 2017, 1169 m. Anm. Reinken = NZFam 2017, 303 m. Anm. Norpoth = FamRZ 2017, 519 m. Anm. Hauß.

c) Vorteil mietfreien Wohnens

Wirtschaftliche Nutzungen wie die Gebrauchsvorteile einer selbstgenutzten Immobilie können die Leistungsfähigkeit des Kindes erhöhen.[70] Soweit bei einer Gegenüberstellung der ersparten Wohnkosten und der zu berücksichtigenden Belastung der Nutzungswert einer Immobilie den Aufwand übersteigt, ist die Differenz dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen hinzuzurechnen. Dabei ist der Wohnwert bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt nicht mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern auf der Grundlage der unter den gegebenen Verhältnissen ersparten Miete zu bemessen.[71]

Mit der Immobiliennutzung einhergehende, unterhaltsrechtlich berücksichtigungsfähige Belastungen mindern den Wohnvorteil. Insoweit war der Abzug von Tilgungsleistungen streitbefangen. Dazu hat der BGH nunmehr Stellung genommen: Neben den Zinsen sind die Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils vom Einkommen des Elternunterhaltspflichtigen abzuziehen, ohne dass dies seine Befugnis zur Bildung eines zusätzlichen Altersvorsorgevermögens schmälert. Der den Wohnvorteil dann noch übersteigende Tilgungsanteil ist als Vermögensbildung zulasten des Unterhaltsberechtigten im Rahmen der sekundären Altersvorsorge auf die Altersvorsorgequote von 5 % des Bruttoeinkommens des Elternunterhaltspflichtigen anzurechnen.[72] Nur ausnahmsweise kann ein dann noch verbleibender Rest der Tilgungsleistungen als unterhaltsrechtlicher Abzug anerkannt werden. Als Ausnahme kann in Betracht kommen, dass ohne Berücksichtigung die Immobilienfinanzierung gefährdet wäre oder der Unterhaltspflichtige sich nicht aus einem vor Bekanntwerden der Unterhaltspflicht abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag lösen bzw. diesen nicht beitragsfrei stellen kann.[73]

[70] Zur Zurechnung des Wohnvorteils zum unterhaltsrelevanten Einkommen BGH NJW 2014, 1173 = FamRZ 2014, 538, 636.
[71] BGH ...

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