Zum dritten Mal "schlug" der EGMR "zu", nachdem oder obwohl durch das Zweite Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 12.4.2011 die Ungleichbehandlung von vor und nach dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindern jedenfalls für solche Erbfälle aufgehoben wurde, bei denen der Erblasser am oder nach dem 28.5.2009 (dem Tag des EGMR-Urteils in der Sache Brauer) verstorben war.[51] Die Beschwerdeführer, deren Väter vor dem 28.5.2009 verstorben waren, hatten mit ihren Erbansprüchen vor den deutschen Gerichtsinstanzen keinen Erfolg und wurden zuletzt vom BVerfG darüber belehrt, die neue Stichtagsregelung sei verfassungskonform und orientiere sich zwar einerseits an der Entscheidung des EGMR im Fall Brauer, andererseits aber auch an dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der einen Staat davon entbinde, Rechtshandlungen oder Rechtslagen, die vor der Verkündung eines Urteils des EGMR lägen, infrage zu stellen.[52]

Dem trat der EGMR erneut entgegen und vertiefte bzw. bekräftigte seinen in den bisherigen Entscheidungen zu dieser Thematik bereits verfolgten Ansatz, dass die erbrechtliche Ungleichbehandlung eines nichtehelichen Kindes regelmäßig (auch) nicht mit dem Schutz berechtigter Erwartungen des Erblassers und seiner Familie gerechtfertigt werden könne.[53] Zwar folgte der Gerichtshof durchaus den Überlegungen und Annahmen des Gesetzgebers und des BVerfG zur Zielsetzung der (erneuten) Stichtagsregelung und zur Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit bei einer weiter reichenden Rückwirkung, meinte jedoch im Hinblick auf die hohe Bedeutung, die die Mitgliedstaaten des Europarats der Gleichbehandlung nichtehelicher und ehelicher Kinder beimäßen, sowie unter Berücksichtigung des Kenntnisstandes der betroffenen Personen, des Status der betroffenen erbrechtlichen Ansprüche und der bis zur Geltendmachung der Rügen vergangenen Zeit im vorliegenden Fall doch eine diskriminierende Verletzung des Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK) feststellen zu müssen. Eine unmittelbare Reaktion des deutschen Gesetzgebers hierauf steht noch aus.

[51] Gesetz v. 12.4.2011, BGBl I, 615; mit diesem Gesetz wurde gleichzeitig die in Art. 235 § 1 Abs. 2 EGBGB enthaltene Sonderregelung für nichteheliche Kinder, die (vor dem 1.7.1949) in der ehemaligen DDR geboren worden waren, ersatzlos gestrichen.
[52] BVerfG(K), Beschl. v. 18.3.2013, EuGRZ 2013, 238.
[53] EGMR, Urt. v. 23.3.2017, EuGRZ 2017, 673 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf sein Urt. v. 28.5.2009, (EuGRZ 2010, 176 – Fall Brauer) sowie auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil der Großen Kammer in Sachen Fabris./. Frankreich v. 7.2.2013, NJW-RR 2014, 645.

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