Das BVerfG nutzt die Begründung des Beschlusses, mit der es die Verfassungsbeschwerde eines Vaters gegen die vorläufige Herausnahme seiner seit langem von ihm getrenntlebenden halbwüchsigen Kinder aus dem Haushalt der Mutter nicht zur Entscheidung annimmt, um die Anforderungen an eine Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren zu erläutern und nach seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 13.7.2017 weiter zu präzisieren.
In Kinderschutzsachen hat das BVerfG ja "immer mehr die Rolle eines Rechtsbeschwerdegerichts" übernommen, weil sich seine Kontrolle hier anders als bei Sorgerechtsentscheidungen nach § 1671 BGB auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie deutliche Fehler der Fachgerichte bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstreckt. Nach Befürchtungen, dass die mit dem Gewicht des Elterngrundrechts begründeten hohen verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung auch in Eilverfahren die Instanzgerichte verunsichern und von einem effektiven Kinderschutz abhalten könnten, und der leicht bedauernden Anmerkung, dass familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB faktisch nur von den Eltern als Eingriffe in ihr Grundrecht auf den Prüfstand gestellt würden, gab die Verfassungsbeschwerde einer Verfahrensbeiständin Anlass und Gelegenheit zur Akzentuierung des staatlichen Wächteramtes.
Der vorliegende Nichtannahmebeschluss betont unter Rückgriff auf ältere Entscheidungen erneut den Schutzaspekt und stellt für kinderschutzrechtliche Eilverfahren klar: Die Hürden für die Trennung eines Kindes von seinen leiblichen Eltern und deren Ausschluss von der elterlichen Sorge sind hoch, hindern Jugendämter und Familiengerichte bei naheliegendem langjährigen Versagen kooperationsunwilliger Väter und Mütter aber nicht an einschneidenden Sofortmaßnahmen.
Für die materiell wie prozessual entscheidende Feststellung, dass das Kindeswohl ohne den Sorgerechtsentzug nachhaltig gefährdet wäre, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für bereits eingetretene Schäden oder dem Kind von seinen Eltern ziemlich sicher drohende erhebliche Gefahren. Das erfordert zweifellos mehr als eine Folgenabwägung im Sinne einer positiven Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 und 2 BGB und stellt umso höhere Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung gemäß § 26 FamFG und die Dringlichkeit vorläufiger Maßnahmen gemäß § 49 FamFG, je geringer der drohende Schaden wiegt, je weiter sein Eintritt zeitlich entfernt liegt und je weniger wahrscheinlich er ist.
Entwickeln sich drohende Beeinträchtigungen über längere Zeiträume, bedarf die Dringlichkeit besonders sorgfältiger Begründung; die Gefährdungslage muss sich – etwa durch Hinweise auf körperliche Misshandlungen, Missbrauch oder gravierende, gesundheitsgefährdende Formen der Vernachlässigung wie im vorliegenden Fall – derart verdichtet haben, dass ein sofortiges Einschreiten geboten ist. Um dies zu überprüfen, hat sich das Familiengericht der erreichbaren sachkundigen Hilfe von Ärzten, Jugendamtsmitarbeitern, Verfahrensbeiständen und anderen Fachkräften zu bedienen; weitere Ermittlungen und die etwa zusätzlich erforderliche Einholung eines Sachverständigengutachtens darf es dem Hauptsacheverfahren überlassen, wenn bereits eingetretene Schäden oder die Art und zeitliche Nähe der zu erwartenden Schädigung schnelles Handeln erfordern und die Eltern keine Einsicht und Kooperationsbereitschaft erkennen lassen, die einem Sorgerechtsentzug "auf Vorrat" entgegenstünden.
Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht den Sachverhalt unter Beachtung der §§ 51, 54, 155, 157 ff. FamFG in insgesamt vier Anhörungsterminen so vorbildlich aufgeklärt, dass das Oberlandesgericht die Beschwerde – verfassungsgerichtlich unbeanstandet – im schriftlichen Verfahren gemäß § 68 Abs. 3 FamFG zurückweisen konnte.
Michael Frohn, Richter am OLG, Köln
FF 7/2018, S. 311 - 316