Weil gerade ein Verfahren vor dem EGMR anhängig ist, möchte ich kurz auf die betroffenen Menschenrechte eingehen. Der EGMR hat mehrfach zur Geschlechtsidentität im Rahmen der Anerkennung eines Geschlechtswechsels (Transsexualität) entschieden. Aus Art. 8 EMRK, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, leitet das Gericht, ähnlich dem BVerfG, ab, dass die personenstandsrechtliche Geschlechtserfassung Eingriffsrelevanz haben und eine staatliche Pflicht bestehen kann, Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem sie nach ihrer psychischen und physischen Konstitution zugehören. Unterlässt er dies, verletzt dies Art. 8 Abs. 1 EMRK. Der Staat darf die von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Geschlechtsidentität nicht ohne gewichtige Gründe einschränken; es gilt also ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab.
Darüber hinaus kann eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts nach Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK vorliegen. Es ist unentschieden, ob die EMRK "Geschlecht" i.S.d. Art. 14 EMRK nur auf männlich und weiblich bezieht. Art. 14 EMRK soll aber Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts abbauen und nicht neu begründen. Aus diesem Grund muss auch ein drittes Geschlecht von Art. 14 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst werden. Im Übrigen wäre der Unterschied, würde man eine Diskriminierung wegen des Geschlechts verneinen, nicht sehr relevant, da das Gericht etwa eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung ähnlich relevant wie eine Geschlechtsdiskriminierung einschätzt. In beiden Fällen ist eine Ungleichbehandlung nur bei besonders schwerwiegenden und überzeugenden Rechtfertigungsgründen zulässig.
Der EGMR hat in den Entscheidungen zur Anerkennung einer Geschlechtsänderung den Erhalt eines stabilen Personenstandseintragungssystems als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Er forderte aber erhöhte Begründung, warum ein solches System existenziell für das Funktionieren des Registers sein müsse. Gewisse Unannehmlichkeiten seien von einer Gesellschaft hinzunehmen, damit Individuen in die Lage versetzt werden, in Würde und im Einklang mit ihrer sexuellen Identität leben zu können. Der Hinweis der französischen Cour de Cassation, das nationale Rechtssystem sei strikt binär und ein Aufbrechen des Systems würde die Funktionalität des gesamten Personenstandssystems gefährden, stellt in seiner Pauschalität keinen ausreichenden oder jedenfalls keinen ausreichend begründeten Rechtfertigungsgrund dar. Die Versagung einer nicht-binären Eintragungsmöglichkeit ist jedenfalls mangels weiterer Gründe im Fall der biologischen Intersexualität menschenrechtswidrig.