1. Medizinisch-biologisches oder weiteres Geschlechtsverständnis?
Der Gesetzgeber verlangt eine ärztliche Bescheinigung (§ 45b Abs. 3 PStG) und erfasst mit "Variante der Geschlechtsentwicklung" nur solche geschlechtsbestimmenden oder geschlechtsdifferenzierenden Merkmale, die sich biologisch-medizinisch feststellen lassen. Nicht erfasst sind rein psycho-soziale Merkmale. Ausnahmsweise kann auf eine ärztliche Bescheinigung verzichtet werden, wenn das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen einer Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann und dies an Eides statt versichert wird (§ 45b Abs. 3 S. 2 PStG). Es geht hierbei um Personen, die durch einen operativen Eingriff bestimmte medizinisch-biologische Merkmale nun nicht mehr oder nur schwierig nachweisbar aufweisen, aber sonst eine Variante der Geschlechtsentwicklung aufgewiesen haben oder hätten. Diese Regelung ändert nichts an der Grundannahme, dass es sich bei "Varianten der Geschlechtsentwicklung" um biologisch-medizinische Faktoren handelt.
Diese Umsetzung wird als die Entscheidung des BVerfG nicht ausreichend umsetzend kritisiert. Das BVerfG versteht das Geschlecht nicht nur medizinisch-biologisch:
Zitat
"In den medizinischen und psycho-sozialen Wissenschaften besteht zudem weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren bestimmt wird […]."
Der verfassungsrechtliche Einwand ist somit berechtigt. Wie ich das Gesetz verstehe, ist Ausgangspunkt des Gesetzgebers das biologische Geschlecht, das von der Neuregelung erfasst wird. Zum psycho-sozialen Geschlecht soll demgegenüber nach einer Regelung gewechselt werden können, wie sie jetzt ähnlich im TSG vorgesehen ist. Parallel zu der Neuregelung des PStG ist daher eine Reform des TSG geplant bzw. zum Teil bereits im Gange. Das Ergebnis dieser Reform soll entweder ein "Geschlechtervielfaltsgesetz" sein, wie es vom Deutschen Institut für Menschenrechte vorgeschlagen wird, oder eine direkte, materiellrechtliche Regelung im BGB, wie der aktuelle Referentenentwurf des BMJV es vorsieht. In §§ 19 f. BGB soll nach dem Referentenentwurf losgelöst vom binären System und außerhalb desselben eine Geschlechtsänderung zugelassen sein. "Geschlecht" bezieht sich ausdrücklich auf die Geschlechtsidentität (§ 19 Abs. 1 BGB-Entwurf) und stellt auf das Geschlechtsempfinden, nicht ausschließlich die medizinisch-biologische Geschlechtsbestimmung ab. Inhaltlich entspricht dies dem Vorschlag im Geschlechtervielfaltsgesetz. Bis eine solche Reform umgesetzt wird, ist es sinnvoll, den Begriff "Geschlecht" oder "Varianten der Geschlechtsentwicklung" i.S.d. §§ 22 Abs. 3, 45b PStG großzügig im Sinne des weiten Geschlechtsverständnisses des BVerfG auszulegen.
2. Problem der geschlechtskorrigierenden Operationen
Ungelöst bleibt der medizinische Umgang mit Neugeborenen, die Varianten der Geschlechtsentwicklung aufweisen. Eine Operation kann medizinisch notwendig sein, in einer Vielzahl der Fälle aber großen Schaden anrichten. Auch hier ist eine Gesetzesreform im Gespräch. Es ist zu hoffen, dass diese Reform bald in einem Gesetz mündet, nach dem nur im Fall medizinischer Notwendigkeit eine Operation zulässig sein darf, bis die betroffenen Personen selbst in der Lage sind, eine autonome Entscheidung zu treffen. Ebenso wäre es wichtig, dass die Eltern von betroffenen Kindern eine umfassende Aufklärung erhalten, ehe sie Entscheidungen für ihre Kinder treffen können, oder das Familiengericht die Entscheidung kontrolliert.
3. Ungeregelte Rechtsbereiche
Ungeregelt sind nahezu alle Gebiete, in denen die personenstandsrechtliche Geschlechtsbestimmung vorausgesetzt wird, etwa bei der Wahl des Betriebsrats oder im Arbeits- und Anti-Diskriminierungsrecht (vor allem § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 AGG). Im Familien...